Malawi – ein entwicklungspolitisches Musterland?

Malawi – ein entwicklungspolitisches Musterland?
Eine Untersuchung von Michael Martin [Gerhard Gross*]
Informationsstelle Südliches Afrika e.V. Bonn 1984

*) Das Buch erschien 1984 unter dem Pseudonym Michael Martin, weil ich zu diesem Zeitpunkt in Malawi noch als ehemaliger Mitarbeiter eines deutschen Entwicklungshilfeprojektes bekannt war, das durch diese Publikation nicht gefährdet werden sollte.

Alle Grafiken und Fotos: © gerhard gross – studio karonga

MALAWI — ein Land, abseits der großen Politik — ein Land mit vergleichsweise großem Echo als entwicklungspolitisches Musterland. Was steckt hinter diesem Ruf?
Die politische Ländermonographie geht dieser Frage nach. Die Antwort wird in erster Linie durch eine Analyse der Landwirtschaftspolitik gegeben, an der sich sowohl der Charakter der gegenwärtigen Regierung als auch die besonderen entwicklungspolitischen Umstände aufzeigen lassen. «Was an der Oberfläche aussieht wie ein an den Grundbedürfnissen einer mehrheitlich kleinbäuerlichen Bevölkerung und an der Selbstversorgung des Landes mit Nahrungsmitteln ausgerichtetes Entwicklungsmodell, ist in Wirklichkeit der Versuch einer weltmarktabhängigen Entwicklung; die Ressourcen des ländlichen Raumes werden mit Hilfe von Landwirtschaftsprojekten mobilisiert mit dem Zweck, sie in Akkumulationsmittel für Großplantagen und Industriebetriebe in den Händen ausländischer Unternehmen und einer kleinen malawischen Elite zu verwandeln.«
Abgerundet wird die Arbeit durch eine Untersuchung der besonderen Rolle Malawis im Südlichen Afrika.
ISBN 3-921614-17-1

Einleitung

Malawi — entwicklungspolitisches Musterland oder Polizeistaat? Die Urteile über die malawische Entwicklung gehen weit auseinander. Die einen sehen es, gerade auch im Vergleich mit seinen ‘sozialistischen’ Nachbarn Sambia, Tansania und Mosambik, als Beispiel für eine erfolgreiche Entwicklungspolitik unter kapitalistischem Vorzeichen, als eine afrikanische Schweiz: klein, schön, kapitalistisch und konservativ. Immerhin verzeich- nete Malawi nach seiner Unabhängigkeit ein beachtliches wirtschaftliches Wachstum (zwischen 1968 und 77 wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) jährlich um real 6%). Vorrangig war die Entwicklung der Landwirtschaft. Malawi produziert genug Nahrungsmittel, um seine schnell wachsende Bevölkerung zu ernähren — zumindest scheint es so — und kennt keine Verstädterungs- und Verslumungsprobleme wie die meisten anderen afrikanischen Länder. Malawi also als Vorreiter der Vorschläge der Nord-Süd-Kommission: Entwicklung der Landwirtschaft und Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln?

Die anderen verweisen auf die diktatorische Herrschaft des Präsidenten Banda, der sein Volk mit eiserner Faust regiert und mit Unterstützung des Westens und in engem Bündnis mit Südafrika sein Land zum Spielball neokolonialer Ausbeutungsinteressen macht.
Präsident Banda sagt: »Unsere Unabhängigkeit wäre bedeutungslos, wenn ihr, mein Volk, unglücklich sein würdet. Und um in diesem Land glücklich zu sein, braucht mein Volk bestimmte, einfache, grundlegende Dinge. Und diese einfachen grundlegenden Dinge sind Nahrung, Kleidung und eine Behausung.«1 [für Anmerkungen siehe den entsprechenden Reiter in der Seitenleiste] Er sagt aber auch: »Ich bin der Boss, und wer immer das ignoriert, ist dumm. Ich entscheide alles, ohne irgend jemanden um Rat zu fragen; und das ist, wie die Dinge in Malawi liegen.«2

Ein wohlmeinender Diktator, der sein Volk, wenn auch mit eiserner Faust, zu Glück und Wohlstand führt? Eine »autoritäre Grundbedürfnisstrategie«3, mit der der Weg aus sozio- ökonomischer Unterentwicklung und Armut zur Hälfte schon bestritten ist? Gar eine Entwicklungspolitik, die unbewußt von der marxistischen Grunderkenntnis geleitet ist, »daß die Menschen vor allen Dingen zuerst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion usw. betreiben können«4?
Selbst Malawis Nachbarn, die es sonst wegen seiner guten Beziehungen zu Südafrika und der Unterdrückung jeglicher politischer Opposition kritisieren, scheinen sich für Malawis Entwicklungserfolg zu interessieren und von ihm lernen zu wollen. So kam z.B. Ende 1981 eine Regierungsdelegation aus Zimbabwe, geführt von den Ministern für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, um von »Malawis langen Erfahrungen im Bereich des Tabakanbaus und der Durchführung ländlicher Entwicklungsprojekte«5 zu lernen. Das junge Zimbabwe will vom kapitalistischen Nachbarn für den Aufbau seiner sozialistischen Gesellschaft lernen?

Es soll hier versucht werden, diese an der Oberfläche erscheinenden Widersprüche in einer Untersuchung einiger wichtiger Aspekte der malawischen Entwicklungspolitik nach seiner Unabhängigkeit aufzuklären. Wird in Malawi wirklich eine grundbedürfnisorientierte Politik betrieben? Oder anders gefragt: warum muß eine grundbedürfnisorientierte, d.h. eine der Bevölkerungsmehrheit zugute kommende Politik, sofern es sie gibt, mit diktatorischen Mitteln durchgesetzt werden? In der bisherigen Literatur über Malawi wird interessanterweise diese Frage nicht behandelt6. Der Schlüssel zu dieser Frage liegt in den be sonderen Bedingungen und Implikationen der Herausbildung kapitalistischer Produktionsverhältnisse in Malawi.

Malawi war zur Zeit seiner Unabhängigkeit, 1964, und ist auch heute noch, ein Agrarland. 90% der etwa 60 Millionen Einwohner leben auf dem Lande und sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Mangel an ökonomisch verwertbaren Bodenschätzen macht den landwirtschaftlich nutzbaren Boden zur wichtigsten Ressource des Landes. Die nur wenig entwickelte städtische Industrie ist strukturell von der Landwirtschaft abhängig bzw. produziert einfache Konsumgüter für den begrenzten inneren Markt. Zum überwiegenden Teil, sowohl bezogen auf die Beschäftigung wie auf die Produktion, ist die Landwirtschaft von der häuslichen Produktionsweise, d.h. Resten der traditionellen Subsistenzwirtschaft geprägt.

Entwicklungspolitik in Malawi mußte deshalb in der Landwirtschaft ansetzen. Sie tat dies, orientiert auf den Export, in zweierlei Richtungen. Auf der einen Seite versuchte sie, den häuslichen (kleinbäuerlichen) Sektor zu kommerzialisieren, d.h. ihn von der Subsistenzproduktion zur Produktion eines Mehrprodukt für den Markt zu entwickeln. Auf der anderen Seite wurde die in der Kolonialzeit begonnene Politik zur Entwicklung einer auf kapitalistsicher Basis funktionierenden Plantagenwirtschaft fortgesetzt und insbesondere in den siebziger Jahren stark forciert.

Diese zweigleisige Politik erschien an der Oberfläche zunächst pragmatisch und rational. Die genauere Analyse der ökonomischen Beziehungen zwischen dem kleinbäuerlichen und dem kapitalistischen Sektor der Landwirtschaft zeigt jedoch, daß sich hier brisante ökonomische und politische Widersprüche verbergen, die inzwischen, wenn auch in sehr vermittelter Form, auch offen als Widersprüche in der politischen Führung Malawis auftauchen. Diese Arbeit konzentriert sich deshalb auf die Untersuchung der besonderen Beziehungen zwischen den Sektoren der Landwirtschaft und ihrer ökonomischen und politischen Implikationen.

Bedingungen für die Entwicklungspolitik Malawis werden aber auch von den Außenwirtschaftsbeziehungen und seiner besonderen Stellung im Südlichen Afrika gesetzt. Malawis Ökonomie ist in hohem Maße vom Export nur weniger landwirtschaftlicher Produkte (Tabak, Zucker, Tee, Baumwolle und Erdnüsse) abhängig, wobei Tabak allein fast 50% der Devisen einbringt. Wirtschaft und Staatshaushalt sind damit den Zufälligkeiten der Preisentwicklung dieser Produkte auf dem Weltmarkt ausgeliefert.

Der Investitionshaushalt Malawis wird zu 85% durch Mittel der ausländischen Entwicklungshilfe, hauptsächlich in Form von Zuschüssen, finanziert. Hauptgeber sind die Weltbank, die Europäische Gemeinschaft, die Bundesrepublik und Großbritannien. Zur strukturellen Abhängigkeit kommt in Malawi also eine besonders starke direkte Abhängigkeit von den westlichen Industrienationen, die sich z.B. in dem relativ großen Einfluß der Weltbank auf seine Entwicklungspolitik zeigt.

Malawi befindet sich, bedingt durch seine geografische Lage im Südlichen Afrika und seine ökonomische Struktur, im unmittelbaren regionalen Einflußbereich Südafrikas. Durch ein entwickeltes System der Wanderarbeit, intensive Handelsbeziehungen und Transportwege ist Malawi in starkem Maße von Südafrika abhängig.
Im Gegensatz zu den anderen unabhängigen Staaten im Südlichen Afrika hat Malawi nicht versucht, diese Abhängigkeit zu reduzieren, sondern hat ganz im Gegenteil die Beziehungen zu Südafrika ausgebaut und unterhält heute als einziges Land Schwarzafrikas diplomatische Beziehungen zum Apartheidregime in Pretoria.
Malawis besondere Rolle im Südlichen Afrika und ihre jüngste Veränderung im Kontext der »Konferenz zur Koordinierung der Entwicklung im Südlichen Afrika« (SADCC) wird vor dem Hintergrund der innenpolitischen Widersprüche am Ende der Arbeit beleuchtet.

Typische malawische Dorfansicht mit grasgedeckten Lehmhütten

Die Entwicklung der Landwirtschaft in der Kolonialzeit

Nachdem David Livingstone 1859 auf seinen Entdeckungsreisen ins Innere Zentralafrikas das Shire-Hochland und den Njassasee entdeckt hatte, folgten bald die ersten Missionare, Händler und Siedler7. 1981 wurde Njassaland britisches Protektorat unter dem Namen ‘British Central Africa Protectorate’.
Die wirtschaftliche Entwicklung Njassalands während der Kolonialzeit ist durch drei Aspekte bestimmt:

  • die Plantagen der europäischen Siedler
  • den Anbau von Verkaufsfrüchten (‘cash crops’) durch die afrikanischen Kleinbauern und
  • die Wanderarbeit der Malawier nach Südrhodesien, Südafrika und Sambia.

Die europäische Plantagenwirtschaft entwickelte sich zunächst sehr schnell dank der Förderung durch die koloniale Administration, die die Aneignung von Land durch die Europäer erleichterte und die Afrikaner mit der Erhebung einer Hüttensteuer zwang, sich als Lohnarbeiter auf den Plantagen zu verdingen. Um die Jahrhundertwende war der Produktionswert der Plantagen, die damals in erster Linie Kaffee, Baumwolle und Tabak produzierten, sogar größer als bei den Plantagen in Kenia oder Südrhodesien. Das starke Wachstum des Plantagensektors kam jedoch 1902 nach einem Verfall der Kaffeepreise zu einem Ende. 8

Die Kolonialverwaltung erkannte außerdem, daß »Njassaland sich aufgrund einer kleinräumigen natürlichen Differenzierung und hohen Bevölkerungsdichten in Teilräumen weniger für eine Besiedlung durch europäische Siedler eignete«9. In Njassaland wurden daher nur relativ kleine Gebiete, etwa 5% der Landfläche, noch ‘naturgemäß’ der wertvollste Teil, vorallem im Shire-Hochland, in den heutigen Distrikten Thyolo und Mulanje, von europäischen Farmern besiedelt.
In derzeit des Aufschwungs der Plantagenwirtschaft duldete die Kolonialverwaltung die Produktion von Verkaufsfrüchten durch die malawischen Kleinbauern nur soweit, wie keine direkte Konkurrenz zu den englischen Siedlern entstand. Als jedoch 1902 und später beim Verfall der Baumwoll- und Kaffeepreise die lneffizienz der Großplantagenwirtschaft immer deutlicher wurde, förderte sie gezielt die kleinbäuerliche Warenproduktion.

Die Kleinbauern wurden so zu den wichtigsten Produzenten von Verkaufsfrüchten für den Export: 1928 produzierten sie 93% der Baumwolle, 1929 63% des Tabaks.
Bezogen auf alle Cash crops (Tee, Zucker, Tabak, Erdnüsse, Baumwolle, Reis und Mais) produzierten die Kleinbauern zurZeit der Unabhängigkeit (1964) wertmäßig mehr als die Großplantagen (K 9,95 Mio gegenüber 8,31 Mio). Dies ist nicht nur im Vergleich zur heutigen Situation interessant, die durch die enorm gewachsene Bedeutung des Plantagensektors gekennzeichnet ist (zwei Drittel der landwirtschaftlichen Exportproduktion wurden 1980 auf den Plantagen produziert), sondern auch hinsichtlich der englischen Kolonialpolitik in Njassaland, der die Extraktion landwirtschaftlicher Rohstoffe wichtiger war als die Expansion der Plantagenwirtschaft durch die Siedler.

Der dritte Aspekt der wirtschaftlichen Entwicklung des kolonialen Njassalands ist die Wanderarbeit der Malawier nach Südrhodesien, Südafrika und Sambia. Neben dem Anbau von Verkaufsprodukten und der Verdingung als Lohnarbeiter auf den Plantagen war die Wanderarbeit eine wesentliche Alternative für viele Malawier, ihrer Steuerverpflichtung gegenüber der kolonialen Verwaltung nachzukommen. Gerade die infrastrukturell unterentwickelte Nordregion Njassalands, der sog. ‘tote Norden’, bot weder Möglichkeiten für eine kleinbäuerliche Warenproduktion noch für Lohnarbeit auf Plantagen. Aus der Nordregion wanderten daher besonders viele Männer im arbeitsfähigen Alter ab (in manchen Distrikten der Nordregion waren z.T. über die Hälfte der arbeitsfähigen Männer als Wanderarbeiter im Ausland, vgl. E. Volhard 1951, S. 1.083).

Tabelle 1 zeigt die geschätzte Zahl malawischer Wanderarbeiter im Südlichen Afrika 1897- 1972.

Tabelle 1
Geschätzte Zahl malawischer Wanderarbeiter im Südlichen Afrika, 1897 –1972

1897 200 1931 50.000 1947 143.000 1956 141.900
1899 2.000 1935 90.000 1948 140.000 1957 147.000
1903 6.936 1938 113.500 1949 146.000 1958 169.000
1904 16.193 1939 112.800 1950 143.000 1959 163.500
1905- 10.714 1940 115.765 1951 148.000 1960 159.500
1906 14.000 1941 120.000 1952- 150.000 1961 165.860
1907 21.000 1942 121.000 1953 159.000 1966 266.000
1911 25.000 1945- 138.982 1954 160.000 1967 280.000
1924 30.000 1946- 121.760 1955 160.000 1972 487.932

Quelle: Boeder 1974, S. 289

Die tatsächliche Bedeutung der Wanderarbeit für die wirtschaftliche Entwicklung Malawis zeigt sich im Vergleich mit der Zahl der im Lande beschäftigten Lohn- und Gehaltsempfänger. Im Jahre 1966 standen 266 000 Wanderarbeitern 122 400 ganzjährig und 103 700 saisonal Beschäftigte gegenüber10.

Das System der Wanderarbeit hat die ökonomische Entwicklung Malawis in mehrfacher Weise behindert. Die Abwesenheit der Männer im arbeitsfähigen Alter erhöht das Subsistenzrisiko der zurückbleibenden Familie, weil wichtige Arbeiten im Anbauzyklus nicht mehr rechtzeitig oder ausreichend durchgeführt werden können. Der Großteil des durch Wanderarbeit verdienten Geldes wird rein konsumtiv, d.h. nicht zur Erhöhung der Produktivität der heimischen Landwirtschaft verwandt. Das Fehlen jeder sozialen Sicherheit in den Zielländern macht die rückkehrenden Wanderarbeiter zu heftigsten Vertretern der traditionellen Normen, die ihnen eine rasche Reintegration zu Hause garantieren11.

Verkaufsfrüchteproduktion der Kleinbauern, Lohnarbeit auf den Großplantagen der Siedler und Wanderarbeit stehen in einem konkurrierenden Wechselverhältnis zueinander. So hatte die Plantagenwirtschaft immer wieder Schwierigkeiten, eine ausreichende Zahl billiger Arbeitskräfte anzuwerben, die entweder in der eigenen Warenproduktion oder in der Wanderarbeit attraktivere Alternativen hatten. Die Siedler übten daher ständig Druck auf die Kolonialverwaltung aus, durch steuerliche Regelungen bzw. eine Kontrolle der Wanderarbeit Abhilfe zu schaffen. Die britische Kolonialmacht profitierte jedoch vom System der Wanderarbeit im Südlichen Afrika in doppelter Weise: einmal durch die Ausbeutung billiger Wanderarbeitskraft durch britisches Kapital in Südrhodesien und Südafrika und zweitens durch die Haushaltseinkünfte aus den Überweisungen der Wanderarbeiter.

Eine ausreichende Versorgung der Plantagenwirtschaft mit Arbeitskräften wurde daher nicht durch eine Begrenzung der Wanderarbeit, sondern durch ein Landnutzungssystem sichergestellt, bei dem die Bauern, die in den von den Siedlern in Besitz genommenen Gebieten lebten, ihre Arbeitskraft an die Plantagenbesitzer verkaufen mußten als ‘Gegenleistung’ für das Recht, ein Stück Land zu nutzen. Dieses Landnutzungssystem ist unter dem Begriff ‘thangata’ bekannt12.

Das Thangata-System, das die Bauern ihrer traditionellen Landrechte beraubte, führte zu Unruhen auf den Plantagen und in den betroffenen Dörfern des Shire-Hochlandes. 1915 organisierte der Prediger John Chilembwe einen Aufstand gegen die Siedlerherrschaft. Bei einem Angriff auf die Magomero-Plantage wurden drei europäische Männer getötet. Auch die Hauptgeschäftsstelle der African Lakes Corporation, der privaten Handels- und Entwicklungsgesellschaft, dem Vorläufer der Kolonialverwaltung, in Blantyre war das Ziel eines Angriffs. Der Aufstand dauerte 12 Tage. »Der Gegenstoß der Europäer erfolgte schnell und gründlich. Gefangene Aufrührer wurden summarisch abgeurteilt und einige von ihnen erschossen.«13

In den Auseinandersetzungen der Landarbeiter und Bauern mit dem thangata-System und den Arbeitsbedingungen auf den Plantagen entstand ein wesentlicher Teil der politischen Basis für den Kampf des Njassaland African Congess (NAC) gegen die Föderation von Rhodesien und Njassaland in den fünfziger Jahren14.

Die Entwicklung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft
Struktur der kleinbäuerlichen Landwirtschaft

Der kleinbäuerliche Sektor in der Landwirtschaft Malawis ist nach wie vor stark von der häuslichen Produktionsweise geprägt. Fast 2/3 des landwirtschaftlichen Produkts werden für den Eigenbedarf produziert15. 1/5 des landwirtschaftlichen Produkts wird dagegen für den Markt produziert und konstituiert den ‘kleinbäuerlichen kommerziellen Sektor’16.Aus diesen Zahlen ist allerdings nicht zu schließen, daß nur ein Fünftel der Bauern an der kommerziellen Landwirtschaft, d.h. an der Warenproduktion für den Markt teilhat. Vielmehr dürfte ihr Anteil erheblich höher sein (wahrscheinlich um die 50%), da die häusliche Produktion nicht nur ausschließliche Produktionsweise einer bestimmten Gruppe von Bauern, sondern meist auch die allgemeine Basis der Produktion für den Markt ist. D.h. ca. die Hälfte der malawischen Kleinbauern baut neben den Früchten zur eigenen Reproduktion eine kleinere oder größere Menge von ‚cash crops’ (Argrarprodukte für den Markt) für den Verkauf an bzw. verkauft den nicht konsumierten Teil des Subsistenzprodukts (Mais, Reis, Hülsenfrüchte etc.). Kleinbauern, die ausschließlich Cash crops produzieren und die nötigen Subsistenzmittel dann auf dem Markt kaufen, sind dagegen die seltene Ausnahme17. Auf die ökonomischen Beziehungen zwischen Subsistenz- und Warenproduktion gehe ich später näher ein18.
Die durchschnittliche Kleinbauernfamilie (4,5 Personen) besitzt ein Stück Land von nur 1,16 ha Größe19.

Die Besitzverhältnisse werden nach dem traditionellen Landrecht (customary law) geregelt. Das ‘traditionelle Land’, das ca. 82% der Fläche Malawis ausmacht, ist das Land der verschiedenen Stämme von Malawi. Während dieses Land in der Kolonialzeit von den Engländern in ‘Treuhänderschaft’ gehalten wurde, wurde die treuhänderische Verwaltung nach der Unabhängigkeit auf den Präsidenten übertragen. Bei der Verteilung der jährlichen Nutzungsrechte unter den Bauern spielen jedoch immer noch die Stammeshäuptlinge und Dorfältesten die wesentliche Rolle. Diese Rolle wird allerdings in dem Moment irrelevant, wenn es um die Bereitstellung von Stammesland für Plantagen geht, die auf direkte Anweisung des Präsidenten geschieht.

Für die Subsistenz werden neben dem Mais, der auf 65% der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche angebaut wird, noch Cassava, Reis, Sorghum, Hirse und Erdnüsse angebaut20. Für den Verkauf (Cash crops) werden von den Kleinbauern Tabak, Erdnüsse, Baumwolle, Reis und Mais angebaut21. 1980 betrug der Wert des von den Kleinbauern verkauften Produkts rund 30 Mio K, was einem Wert von 11,6 K pro Beschäftigten in diesem Sektor entspricht22.

Die von den Kleinbauern verwandten Anbaumethoden sind noch weitgehend von traditionellen Praktiken geprägt. Die Mehrheit der Bauern benutzt die Hacke und verwendet lokales Saatgut. Als Transportmittel für die Ernte, das Feuerholz etc. dient noch immer der Korb auf dem Kopf der Bäuerin. Die Produktivkräfte sind also praktisch nicht entwickelt. In manchen Gegenden, vor allem dort, wo schon seit längerem Landwirtschaftsprojekte durchgeführt werde, werden jedoch in zunehmendem Maße von Ochsen gezogene Pflüge und Ochsenkarren benutzt. Besonders für die Cash-crop-Produktion wird dort auch Kunstdünger und gekauftes Saatgut verwandt. 23

SUBSISTENZSEKTOR

Abb. 3
Die produktiven Sektoren der malawischen Wirtschaft (entsprechend ihres Beitrages zum Bruttoinlandsprodukt)

Ländliche Entwicklungspolitik

Malawi gehört zu den wenigen Ländern der 3. Welt, die seit ihrer Unabhängigkeit vorrangig auf die Entwicklung der Landwirtschaft und der ländlichen Infrastruktur abstellten. Diese politische Schwerpunktsetzung, die in vielen anderen Entwicklungsländern erst nach wenig erfolgreichen Industrialisierungsversuchen und oft zu spät erfolgte, ergab sich in Malawi fast zwingend aus den Bedingungen, wie sie zur Zeit der Unabhängigkeit herrschten: keine ökonomisch verwertbaren Bodenschätze, eine unterentwickelte interne und externe Verkehrsinfrastruktur ohne direkten Meereszugang, 90% der Bevölkerung in relativ großer Dichte auf dem Lande lebend und gute Klima- und Bodenverhältnisse für die Landwirtschaft.
Neben der Förderung kapitalistischer Plantagen sind es vor allem die sog. integrierten ländlichen Entwicklungsprojekte, mit denen die Landwirtschaftspolitik umgesetzt wird. Wenige Jahre nach der Unabhängigkeit wurden solche Projekte in vier Regionen des Landes mit finanzieller Unterstützung durch die Weltbank und die Bundesrepublik Deutschland begonnen. Zunächst erfaßten diese Projekte etwa ein Fünftel der ländlichen Bevölkerung Malawis.

Ziel dieser Projekte war es, das Niveau der kleinbäuerlichen Produktion durch die Bereitstellung von landwirtschaftlichen ‘inputs’ und entsprechenden Dienstleistungen zu erhöhen. Die Maßnahmen der Projekte umfaßten:
• landwirtschaftliche Beratung
• Flurbereinigung
• Bauern- und Beraterausbildung
• Kredit für landwirtschaftliche Inputs
• Bekämpfung von Tierkrankheiten
• Forstprogramme
• Bau von Vermarktungseinrichtungen und
• landwirtschaftliche Forschung.

Weitere wichtige Komponenten waren der Ausbau des Straßennetzes, Verbesserung der Trinkwasserversorgung und der Gesundheitsversorgung.
Im Zeitraum von 1969/70 bis 1979/80 flossen etwa 17% der öffentlichen Investitionen in den kleinbäuerlichen Sektor der Landwirtschaft. Darüberhinaus profitierte die kleinbäuerliche Warenproduktion in hohem Maße vom Ausbau des Hauptstraßennetzes, in das im gleichen Zeitraum ca. 1/3 der Investitionsmittel flössen24.
Seit 1978 bildet ein Nationales Landwirtschaftsprogramm (NRDP) die Grundlage für die ländliche Entwicklungspolitik. Dieses Programm setzt im Prinzip die Strategie der regionalen Programme fort, jedoch mit einem relativ geringeren Investitionsaufwand und dem Ziel, in kürzerer Zeit eine größere Zahl von Kleinbauern zu erreichen. In 20 Jahren soll im ganzen Land eine Grundausstattung an technischer und agraradministrativer Infrastruktur geschaffen werden und jeder Bauer Zugang zu Beratung, Kredit und Vermarktungseinrichtungen haben. Auch das NRDP wird zu über 80% von ausländischen ‘Gebern’, vor allem der Weltbank, der Europäischen Gemeinschaft, Großbritannien und der Bundesrepublik finanziert.

 

Erdnussfeld eines kommerziellen Kleinbauern

Tabakfeld eines kommerziellen Kleinbauern

Im Kontext des malawischen Entwicklungsmodells hat die ländliche Entwicklungspolitik eine Reihe von expliziten und impliziten Funktionen:

  • die Erhöhung der Produktivität der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, d.h. die Mobilisierung der bislang noch untergenutzten natürlichen und menschlichen Ressourcen zur Produktion eines vermarktbaren Mehrproduktes,
  • die Mobilisierung von Akkumulationsmitteln für den kapitalistischen Plantagensektor und die städtische Industrie über die Abschöpfung eines Teils des kleinbäuerlichen Mehrproduktes,
  • die soziale Befriedung der Masse der Kleinbauern durch breitgestreute Verbesserung der Versorgung mit staatlichen Dienstleistungseinrichtungen.

Mobilisierung der Ressourcen
Oberstes Ziel und faktische Wirkung der Landwirtschaftsprogramme in Malawi ist die Erhöhung der kleinbäuerlichen Produktion von Agrarprodukten für den Markt. Bei der landwirtschaftlichen Beratung, der Erforschung neuer Agrarprodukte und dem Ausbau der Infrastruktur- und Vermarktungseinrichtungen wird die Ausrichtung der Programme an der Cash-crop-Produktion sichtbar. So sind z.B. die Kapazitäten bei der Agrarforschung auf die Cash crops konzentriert, die jedoch nur auf 16% der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen angebaut werden25.

Sieht man die Landwirtschaftsprojekte unter dem Gesichtspunkt einer auf Agrarbasis angestrebten kapitalistischen Entwicklung Malawis, so haben sie die Funktion, die noch weit unter ihrem Potential genutzten Ressourcen an Land und Menschen für das Kapital zu nutzen, d.h. sie dem nationalen und internationalen Kapital direkt oder indirekt zugänglich zu machen.

Durch Erhöhung der Produktivität der kleinbäuerlichen Landwirtschaft soll dabei ein Mehrprodukt über den Subsistenzbedarf hinaus in Form von Waren für den Verkauf produziert werden. Das so erwirtschaftete Mehrprodukt dient einerseits, vermittelt über die Vermarktungsorganisation ADMARC, der Finanzierung des kapitalistischen Sektors der Landwirtschaft und den nationalen Beteiligungen in der Industrie, zum anderen der Herausbildung eines inneren Marktes. Die Entwicklung der kleinbäuerlichen Warenproduktion seit der Unabhängigkeit zeigt jedoch, daß die bisherige Landwirtschaftspolitik nur bedingt in der Lage war, die ‘brachliegenden’ Ressourcen in einem größeren Umfang zu mobilisieren.

Tabelle 2
A. Jährliche Wachstumsraten des Volumens der kleinbäuerlichen Warenproduktion,
1960 -1969 und 1970 – 1980 (Berechnet als durchschnittliche Wachstumsrate einer Trendlinie)

AnkäufebäuerlicherProdukte

durchVermarkungsorganisation

Plantagenproduktion
Zeitraum Tabak Erdnüsse Baumw Reis Mais Tabak Tee Zucker
1960-1969 3,3% 6,5% 3,6% 4,0% 21,1% 11,2% 3,7%
r2 0,10 0,27 0,15 0,07 0,67 0,86 0,51
1970-1970 3,4% -4,8% 0,9% 5,3% 14,5% 20,0% 6,6% 22,2%
r2 0,13 0,25 0,04 0,29 0,62 0,94 0,90 0,92

B. Jährliche Wachstumsraten des Werts der kleinbäuerlichen Warenproduktion,
1960 -1969 und 1970 – 1980 (Berechnet als durchschnittliche Wachstumsrate einer Trendlinie)

AnkäufebäuerlicheProdukte
durchVermarkungsorganisation
Plantagenproduktion
Zeitraum Tabak Erdnüsse. Baumw Reis Mais Tabak Tee Zucker
1960-1969 -0,50% 10,2% 3,1% 7,2% 20,5% 2,1%
r2 0,00 0,46 0,11 0,10 0,69 0,24
1970-1980 13,8% 12,5% 22,1% 11,3% 50,3% 31,2% 13,8% 36,8%
r2 0,32 0,64 0,94 0,55 0,83 0,92 0,68 0,70

Quelle: Kydd/Christiansen 1982, S. 361. Die Wachstumsraten für Reis und Mais zeigen nicht die Trends der gesamten vermarkteten Produkte der Kleinbauern, da sie z.T. nur den vergrößerten Vermarktungsanteil von ADMARC an diesen Produkten widerspiegeln.

Der Tabelle 2 ist zu entnehmen, daß der kleinbäuerliche kommerzielle Sektor vor allem im Vergleich zu dem rapide wachsenden Plantagensektor nur ein bescheidenes Wachstum verzeichnet. Im Zeitraum 1960 — 69 wächst das Produktionsvolumen nach den Ankaufsmengen von ADMARC, der halbstaatlichen Vermarktungsorganisation, nur bei Erdnüssen und Mais in größerem Umfang, wobei das große Wachstum der Maisproduktion zum größten Teil nur den größeren Vermarktungsanteil von ADMARC an diesem Produkt anzeigt, das zuvor in größerem Maße privat vermarktet wurde. Bei Tabak und Reis hat sich die Produktionsmenge sogar kontinuierlich verringert. Im Jahrzehnt 1970 — 1980 bleibt die allgemeine Tendenz die selbe, während sich die Wachstums- bzw. Schrumpfungsraten bei den verschiedenen Produkten im Vergleich zur vorherigen Periode umkehren.
Das dürftige Wachstum der kleinbäuerlichen Warenproduktion ist nicht nur erstaunlich im Vergleich mit den Großfarmen, deren Wachstumsraten, vor allem von 1970 — 80, die des kleinbäuerlichen Sektors um ein Vielfaches übertreffen, sondern auch im Hinblick auf die erwarteten Effekte der Landwirtschaftsprojekte, die mit hohem Investitionsaufwand durchgeführt werden.

Gegen Ende der 70er Jahre verringert sich das Wachstum der kleinbäuerlichen Warenproduktion im wesentlichen weiter (siehe Abbildungen 4a – d), was sich auch im realen BIP- Wachstum dieses Sektors spiegelt 26:

1976 20,4%
1977 19,6%
1978 5,7%
1979 -2,0%

Der Erlös, den die Kleinbauern aus dem Verkauf ihrer Produkte erhalten, ist real ebenfalls kaum gewachsen (vgl. Abbildung 5). Bezogen auf die gestiegene Zahl der im kleinbäuerlichen Sektor Arbeitenden ist das von den Bauern erwirtschaftete Geldeinkommen sogar gefallen: im Zeitraum von 1964 bis 1980 um jährlich 02,% (vgl. Tabelle 3).27

Eine Ursache dieser Entwicklung ist das geringe Wachstum der durchschnittlichen Produktivität der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Zwischen 1969 und 1981 erhöhten sich z.B. die Hektarerträge beim lokalen Mais um insgesamt nur 8%28.

Tabelle 3
Wert der Ankäufe durch ADMARC je Arbeitenden im bäuerlichen Sektor, 1964 – 1980, zu Preisen von 1980

Jahr AlleProdukte
einschließlich Mais (Kwacha)
AlleProdukte
ohne Mais (Kwacha)
1964 9,5 8,3
1965 16,1 15,2
1966 16,7 14,5
1967 20,4 15,9
1968 9,6 6,3
1969 11,9 9,8
1970 11,3 11,0
1971 15,0 13,8
1972 16,7 14,5
1973 13,0 10,9
1974 13,8 11,5
1975 11,4 10,5
1976 15,1 12,8
1977 15,2 12,3
1978 16,4 12,9
1979 13,2 11,1
1980 11,6 9,1
Jährliche Wachstumsrate (%) -0,2 -0,5

Quelle: Kydd/Christiansen 1982, S. 370

Dieses geringe Produk tivitätswachstum wurde in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit, als noch in fast allen Distrikten unbebautes Land zur Verfügung stand, durch ein extensives Wachstum kompensiert. Doch inzwischen sind die Landreserven fast aufgebraucht. Nach Berechnungen des Landwirtschaftsministeriums in Malawi waren im Jahre 1977 88% des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens bebaut. Zwei Drittel der verbliebenen Flächen lagen in der Nordregion, in der nur 12% der Bevölkerung leben. Bei einem geschätzten Wachstum der bebauten Flächen um 3,5% pro Jahr29 wären selbst unter der Annahme hoher Mobilität der Bauern die Landreserven bereits 1981 verbraucht gewesen.

In dieser Situation bebauen die Bauern zunehmend marginale oder erosionsgefährdete Böden mit der Folge, daß die Hektarerträge sinken, solange nicht zusätzlich in Kunstdünger, Terrassierungen usw. investiert wird.
Die zunehmende Landverknappung, die verschärft wird durch die Konkurrenz der Kleinbauern mit den stark expandierenden Großplantagen um die wenigen verbleibenden Flächen, zeigt sich auch an der deutlich gesunkenen durchschnittlichen Landgröße pro Bauernfamilie. Zwischen 1968/69 und 1980/81 sank die im Schnitt von jedem Bauern bebaute Fläche von 1,52 ha auf 1,16 ha um fast ein Viertel30. Angesichts der Erschöpfung der bislang lang noch unerschlossenen Flächen wird sich die Tendenz zur Reduzierung der Anbauflächen pro Familie in Zukunft noch beschleunigen.

Abb. 4 a – 4d:
Entwicklung der kleinbäuerlichen Warenproduktion, 1969 – 1981 (Ankäufe durch ADMARC)
4a:
Tabakproduktion (2 000 t)

4b:
Erdnußproduktion (3 000 t)


4c:
Baumwollproduktion (2 000 t)

4d:
Maisproduktion1 (8 000 t)

Quelle:
Malawi Statistical Yearbook 1979, S. 71; und Monthly Statistical Bulletin, Sept. 1982, S. 3

Abb. 5:
Entwicklung der kleinbäuerlichen Warenproduktion von 7968 – 1981 (Ankäufe durch ADMARC in Mio Kwacha, nominal und real)

Abb. 6:
Schätzung der Maisproduktion der Kleinbauern, 1973 -1981 (1 000 t)

Eine weitere Ursache für das geringe Wachstum der kleinbäuerlichen Warenproduktion, d.h. die Produktion von Produkten für den Verkauf, sind die geringen Preise, die den Bauern für ihre Produkte von der halbstaatlichen Vermarktungsorganisation ADMARC bezahlt werden. Die Kombination von knapper werdenden Anbauflächen und geringen Preisen zwingt vor allem die Bauern mit unterdurchschnittlich großem Land, vorwiegend Subsistenzprodukte anzubauen.

Es ist dies mit ein Grund dafür, daß sich Malawi als eines der wenigen Lander Afrikas – zumindest in guten Jahren — selbst mit Nahrungsmitteln versorgen konnte 31. Bis 1974 hat es außerdem gelegentlich kleine Mengen Mais in die Nachbarländer exportiert32, auch 1983/84 exportierte Malawi Mais in die von Dürre betroffenen Nachbarländer.
Genaue Angaben über den Umfang der Produktion für den Eigenbedarf sind naturgemäß nicht verfügbar, das sie nicht über den Markt gehandelt wird und somit in keine Statistik Eingang findet. Auf der Grundlage von Untersuchungen über Produktionsmengen ausgewählter kleinbäuerlicher ‘Betriebe’ wurde von der Regierung ein reales Wachstum der Eigenbedarfsproduktion um jährlich 3% zwischen 1973 und 1978 geschätzt 33.
Abbildung 6 zeigt die Entwicklung der geschätzten Maisproduktion der Kleinbauern (Gesamtproduktion, d.h. Produktion für den Eigenbedarf plus die auf lokalen Märkten und an ADMARC verkaufte Produktion).

Sofern diese Angaben richtig sind, bedeutet dies, daß, zumindest in den angegebenen Jahren, das Wachstum der Nahrungsmittelproduktion mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten konnte. Die Fähigkeit, sich mit Nahrungsmitteln selbst versorgen zu können, und die kontinuierliche Steigerung der Nahrungsmittelproduktion sind es, die Malawi als Modell für eine richtige Entwicklungspolitik erscheinen lassen. Doch paradoxerweise ist die steigende Produktion von Subsistenzprodukten der ungewollte Nebeneffekt einer wenig erfolgreichen Landwirtschaftspolitik, d.h. einer Politik, die vor allem die Produktion von Verkaufsfrüchten fördern will.

Darüberhinaus ist die relativ hohe Nahrungsmittelproduktion viel eher durch die im Vergleich mit vielen Ländern Afrikas größere natürliche Fruchtbarkeit der Böden bedingt als durch die Landwirtschaftspolitik des ‘weisen Führers’ Dr. Banda. Schon zur Kolonialzeit produzierten die malawischen Bauern große Überschüsse an Nahrungsmitteln, die zur Ernährung der Plantagenarbeiter benötigt wurden, z.T. aber auch schon damals an Nachbarländer exportiert wurden 34.

In Zukunft ist jedoch auch die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln gefährdet, wenn sich die Landwirtschaftspolitik nicht grundlegend ändert. Da die gestiegene Produktion von Subsistenzfrüchten u.a. das Ergebnis eines Rückzugs der Kleinbauern aus der Verkaufsfrüchteproduktion ist35, bedeutet dies, daß sie gerade in dem Moment, in dem produktivitätssteigernde Investitionen in Produktionsmittel und Bodenschutzmaßnahmen aufgrund des knapper werdenden Landes dringlich wären, immer geringere Geldeinkommen erwirtschaften. Der Rückzug in die Subsistenzproduktion führt also in dem Moment in eine Sackgasse, in dem reduzierte Anbauflächen und die Bebauung von marginalen oder erosionsgefährdeten Böden immer geringere Erträge und eine Zerstörung der natürlichen Fruchtbarkeit der Böden bewirken.

In bestimmten, dicht besiedelten und weniger fruchtbaren Regionen Malawis sind die Anbauflächen pro Familie und die Erträge schon heute so klein, daß die Bauern dort nur noch einen Teil ihres Nahrungsmittelbedarfs selbst erwirtschaften können, selbst wenn sie fast nur noch Subsistenzprodukte anbauen. Im Balaka-Distrikt, in der Südregion, z.B. herrschte schon 1981 ein Nahrungsmitteldefizit von rund 22%, gemessen an dem von der UNO errechneten Mindestkalorienbedarf 36.

Besonders betroffen sind die Familien mit weniger als 0,8 ha Anbaufläche (sie machen im Balaka-Distrikt fast 40% aller Haushalte aus). Diese Familien können noch nicht mal die Hälfte, z.T. noch nicht mal ein Drittel ihres Nahrungsmittelbedarfs selbst produzieren. Es sind dies gleichzeitig die Familien, die am wenigsten an der Produktion von Verkaufsfrüchten teilnehmen, also auch kein Geldeinkommen aus der Landwirtschaft beziehen, das sie zum Kauf von Nahrungsmitteln verwenden könnten. Sie sind auf Geldüberweisungen der abwandernden Männer angewiesen. Doch soweit diese Männer in der städtischen Industrie beschäftigt sind, die direkt oder indirekt in hohem Maße von der bäuerlichen Marktproduktion abhängt, ist auch ihr Einkommen gefährdet, wenn die Warenproduktion auf dem Lande zurückgeht.

Auf der anderen Seite ist für viele der kleinen Bauern, die keine Verkaufsfrüchte wie Tabak, Baumwolle usw. anbauen und keine alternative Quelle für ein Geldeinkommen haben, ihr Subsistenzmittel Mais das einzige Produkt, durch dessen Verkauf sie sich ein Minimum an Geld beschaffen können, um z.B. Steuern, Schul- und Krankenhausgebühren oder nicht selbst herstellbare Konsumgüter zu bezahlen. Es passiert daher häufig, vor allem in den ärmeren Gegenden, daß Bauern nach der Ernte mehr Mais verkaufen als sie nach Abzug des eigenen Bedarfs dürften (das sog. ‘overselling’). Zum Ende des landwirtschaftlichen Produktionsjahres müssen sie dann, meist zu einem viel höheren Preis, wieder Mais kaufen, sofern sie sich bis dahin Geld beschaffen konnten, bzw. müssen ihre Diät unter dem Mindestbedarf reduzieren.
Proklamiertes Ziel der Landwirtschaftsprojekte und der ländlichen Entwicklungspolitik ganz allgemein war es, den Lebensstandard der Kleinbauern durch eine Erhöhung der landwirtschaftlichen Erträge zu verbessern, die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln zu sichern und die landwirtschaftlichen Exporte auszudehnen. Die oben beschriebenen Entwicklungstendenzen zeigen jedoch, daß nicht nur die kleinbäuerliche Warenproduktion stagniert, sondern auch die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln zunehmend gefährdet ist, da den Kleinbauern die Mittel fehlen, notwendige Investitionen zur Steigerung der Produktivität vorzunehmen. Selbst aus der Sicht der Geldgeber der landwirtschaftlichen Projekte sind deren Erfolge weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. So schreibt die Weltbank in ihrem umfangreichen Evaluierungsbericht: Die Leistung des kleinbäuerlichen Sektors »ist weniger als zufriedenstellend, wenn man die umfangreichen öffentlichen Investitionen in die kleinbäuerliche Landwirtschaft seit den späten 60er Jahren bedenkt«37.

Der Evaluierungsbericht über das zweitgrößte Landwirtschaftsprojekt Malawis, das Lakeshore Rural Development Project (ursprünglich von der Bundesrepublik gefördert und heute von der EG finanziert), resümiert die Wirkung des Projektes wie folgt: »Das reale Einkommen aus den Hauptanbauprodukten der Kleinbauern hat sich sehr wahrscheinlich zwischen 1971 und 1981 nicht erhöht, da Zuwächse im Ertrag durch den Fall der realen Erzeugerpreise aufgehoben wurden… Für die meisten Bauernfamilien, die 1967 in dem LRDP-Gebiet ansässig waren, sind die Realeinkommen aus der Landwirtschaft sehr wahrscheinlich zwischen 1967 und 1981 gefallen«38.

 


 

Vor dem Hintergrund dieser für die Mehrheit der Kleinbauern keineswegs vorteilhaften ökonomischen Wirkung der landwirtschaftlichen Projekte und Programme gewinnt der politische Aspekt der ländlichen Entwicklungspolitik eine besondere Bedeutung für die Stabilisierung der herrschenden Machtverhältnisse.

Soziale Befriedung der Bauern.

Die Politik zur Entwicklung des ländlichen Raumes, die über die reinen Landwirtschaftsprogramme hinausgeht und den Ausbau des ländlichen Straßennetzes, der öffentlichen Verkehrsmittel, der Wasserversorgung und den Neubau sozialer Einrichtungen wie Krankenstationen und Schulen und Community Development einschließt, hat eine relativ große ‘Breitenwirkung’, d.h. sie bringt fast jeder Bauernfamilie in der einen oder anderen Form kleine Verbesserungen ihrer Lebensumstände.

Die möglichst gleichmäßige Verteilung von Investitionen über die einzelnen Regionen des Landes ist durchgängiges Merkmal all dieser Programme. Dieses Prinzip der Gleichbehandlung aller Regionen des Landes gewinnt seinen politischen Stellenwert darüberhinaus  durch die Existenz unterschiedlicher ethnischer Gruppen (in den verschiedenen Landesteilen), deren Existenz durch die offizielle Politik bewußt heruntergespielt wird und deren Unterschiede und Divergenzen nicht offen aufbrechen sollen.

Die soziale Befriedigungsstrategie wird benutzt, um die Loyalität der Masse der Bauern gegenüber dem herrschenden System und insbesondere dem Präsidenten zu mobilisieren. Jedes Entwicklungsprojekt, jede neue Schule, jede Krankenstation auf dem Lande wird in der Propaganda der Regierung als Geschenk des Präsidenten verherrlicht:

»Mr. Hara (Parlamentsabgeordneter, d. Verf.) übermittelte den aufrichtigen Dank der Leute von Mzimba an den Präsidenten auf Lebenszeit für das Nationale Ländliche Entwicklungsprogramm, das, wie er sagte, die Entwicklung des Distrikts beschleunigt habe.39

»… Sich dem Entwicklungsfortschritt zuwendend zitierten die (Parlaments-) Abgeordneten eine Vielzahl von Projekten in ihren jeweiligen Wahlbezirken… Die Parlamentarier übermittelten den tiefen Dank der Leute ihres Bezirkes an den Präsidenten auf Lebenszeit für alles, was er für sie getan hat und fortfährt, für sie zu tun.« 40

Die Verherrlichung der Regierung und des Präsidenten geht dabei soweit, daß die Anstrengungen der Bevölkerung nicht als Beitrag zur Entwicklung des Landes, sondern als Beitrag zu den Bemühungen der Regierung zur Entwicklung des Landes interpretiert werden: »Er (ein Parlamentsabgeordneter, d. Verf.) erinnerte die Leute daran, daß Malawi ein Agrarland ist und daß es deshalb die Verpflichtung eines jeden Bürgers sei, die Bemühungen der Regierung zur Verbesserung des landwirtschaftlichen Sektors zu unterstützen.«41

Nichts wird der eigenständigen Initiative der Bevölkerung überlassen, nichts geht ohne die Regierung, ohne ’Kamuzu’. Diese Propaganda, von allen Politikern beständig wiederholt, verurteilt die kleinbäuerliche Bevölkerung nicht nur zu politischer Unmündigkeit und Passivität, sondern hämmert ihnen mit monotoner Regelmäßigkeit ein, daß sie der Regierung und vor allem dem Präsidenten jede kleine Verbesserung ihrer Lebensumstände mit bedingungsloser Loyalität zu danken haben.

Selbst Politiker und Minister werden für unmündig erklärt. Die Beanspruchung eines eigenständigen Beitrages zur Entwicklung des Landes gilt als Volksverhetzung. Der frühere Minister der Südregion, Gwanda Chakwamba, wurde 1981 zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er es zuließ, daß ihn ein Parlamentsabgeordneter bei einer Versammlung für seine Leistungen für die wirtschaftliche Entwicklung der Region lobte. Die Richter erklärten: »Solche Worte waren nicht nur unbegründet, sondern auch in höchstem Maße skandalös, da jedermann in diesem Lande weiß, daß die Entwicklung ausschließlich dem Präsidenten auf Lebenszeit geschuldet ist und daß solche Lobreden nur an den Ngwazi gerichtet werden dürfen.«42

Schaffung einer bäuerlichen Kleinkapitalistenklasse

Die Landwirtschaftsprojekte des NRDP sind auf die Masse der Kleinbauern orientiert, d.h. alle Bauern innerhalb des Projektgebietes haben im Prinzip gleichen Zugang zur neu geschaffenen Infrastruktur, zur landwirtschaftlichen Beratung und zu Krediten. De facto profitiert jedoch nur ein kleiner Prozentsatz der Bauern in nennenswertem Umfang von den Projekten.

Im Gegensatz zu Ländern wie Tansania und Mosambik wird in Malawi nicht die Bildung von landwirtschaftlichen Genossenschaften gefördert, sondern Beratung und Kredit zielen, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, auf den einzelnen Bauern43.
Es ist daher klar, daß vor allem die Bauern, die größere Landflächen besitzen, schon früher regelmäßig Cash crops angebaut haben und schon modernere Anbautechniken und ertragreichere Sorten benutzen, den größten Vorteil aus den Projekten ziehen. Umgekehrt bringt die Konzentration des Beratungsdienstes und der Ausbildung auf diese Gruppen von Bauern kurzfristig den größten Erfolg, gemessen z.B. an der relativen Produktionserhöhung je eingesetztem landwirtschaftlichem Berater. So ist es kein Wunder, daß sich der Beratungsdienst zunehmend auf eine relativ kleine Gruppe von sog. ‚progressive farmers’ orientiert44. Die Annahme von Anbaupaketen durch die Bauern war deshalb in den Landwirtschaftsprojekten viel niedriger als ursprünglich geplant, wie die Weltbank in ihrer Analyse der Projekte feststellt 45.

Der Effekt dieser Entwicklungstendenz ist, daß sich eine relativ kleine Schicht bäuerlicher Kleinkapitalisten herausbildet, die in zunehmendem Maße selbst Landarbeiter, meist saisonal, einstellt, ihre Ländereien vergrößert und landwirtschaftliches Gerät wie Pflug, Ochsenkarren  und in seltenen Fällen auch Traktoren einsetzt.

Obwohl hier sicher ein Widerspruch zwischen beabsichtigter Breitenwirkung und tatsächlicher Selektivität der Landwirtschaftsprogramme liegt, wird doch klar, daß die Entstehung einer bäuerlichen Kleinbourgeoisie von der politischen Führung gewollt und bewußt gefördert wird.
Neben den größere Regionen umfassenden, d.h. ‘flächendeckenden’ Landwirtschaftsprojektendes NRDP gibt es spezielle Programme, die ganz gezielt eine kleinbäuerliche Elite heranziehen. Ein Beispiel dafür ist ein Programm zur Ausbildung, Ansiedlung und Förderung von Tabakbauern. Ausgewählte Bauern werden hierbei über 3 Jahre im Anbau von ‚Flue-cured’-Tabak ausgebildet, der agrartechnisch relativ kompliziert anzubauen ist und deshalb bisher nur auf den Plantagen produziert wurde. Nach der Ausbildung wird diesen Bauern von der Regierung ein Stück Land zur Verfügung gestellt, auf dem sie dann selbständig, jedoch von intensiver Beratung begleitet, Tabak anbauen. Diese Bauern sind in Malawi nicht nur dafür bekannt, daß sie oft höhere Hektarerträge haben als die Plantagen, sondern auch dafür, daß sie hohe Geldeinkommen erwirtschaften 46.

Als Beispiele der zukünftigen Bauerngeneration, so wie sie sich die politische Führung in Malawi vorstellt, werden diese Bauern oft anläßlich der landwirtschaftlichen Inspektionstouren des Präsidenten feierlich der Nation vorgestellt und mit Auszeichnungen bedacht. Diese ’Elitebauern’ bilden als angehende bäuerliche Kleinkapitalisten nicht nur den Kern einer der politischen Führung loyalen Schicht innerhalb der Bauernschaft, sondern stehen als Beweis für ’His Excellency’s wise leadership to uplift the life of his people’, wie einer der in Malawi verbreiteten Slogans lautet. Sie sollen Vorbild für die Masse der anderen Bauern sein, die ihre eigene Erfolglosigkeit und Marginalisierung als selbstverschuldete Unzulänglichkeit und nicht als Benachteiligung interpretieren sollen.

Innerer Markt und Struktur der industriellen Entwicklung

Die auf die Mobilisierung der ‚brachliegenden’ Ressourcen und die Entwicklung der bäuerlichen Warenproduktion orientierte Landwirtschaftspolitik Malawis zielt auch auf die Ausweitung des inneren Marktes, d.h. die verstärkte Arbeitsteilung zwischen Landwirtschaft und Industrie. Da Malawi keine industriell ausbeutbaren Rohstoffe besitzt, ist das Entstehen eines inneren Marktes die entscheidende Voraussetzung zur Entwicklung einer Industrie. Die starke Abhängigkeit der malawischen Industrie vom nationalen Markt zeigt sich daran, daß nur 14% der Industrieproduktion exportiert werden47.

Die industrielle Produktion entwickelt sich im Falle Malawis wie in vielen anderen Ländern der Dritten Welt nicht auf der Basis von Handwerk und Kleinindustrie, also unter Anwendung von Produktivkräften, wie sie in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft üblich sind, sondern auf der Basis einer kapitalistischen Industrie, die zwar nicht auf dem fortschrittlichsten Niveau, aber doch auf einem der kleinbäuerlichen Landwirtschaft weit überlegenen Niveau der Produktivität arbeitet.

Diese strukturelle Ungleichheit entstand historisch zunächst dadurch, daß das existierende Handwerk — Schmiedekunst und Baumwollverarbeitung waren z.B. in Malawi sehr verbreitet48 — ruiniert wurde, weil England seine Kolonien mit den Produkten seiner eigenen industriellen Massenproduktion überschwemmte. Die Politik des Warenexports wurde später durch eine Politik des Kapitalexports abgelöst, mit der in den Kolonien selbst eine bescheidene Industrie aufgebaut wurde, die den inneren Markt versorgte. Diese Politik findet heute unter dem Stichwort ’lmportsubstitution’ seine Fortsetzung, ohne daß sich an ihrer Struktur etwas geändert hätte.

Die vom ausländischen Kapital aufgebaute Industrie (vorwiegend englisches Kapital; heute gibt es in den wichtigsten Industrien Beteiligungen nationaler, meist halbstaatlicher Organisationen wie ADMARC oder der Malawi Development Corporation) entwickelte sich unter Anwendung von Produktivkräften, wie sie in der europäischen Industrie üblich waren, was angesichts des beschränkten inneren Marktes zu monopolistischen Strukturen führte. Fast alle wesentlichen industriellen Erzeugnisse werden jeweils nur von einem einzigen Betrieb hergestellt (Getränke, Textilien, landwirtschaftliche Geräte, Haushaltsartikel, Schuhe, Öle, Zucker etc.). Die Regierung Präsident Bandas fördert diese monopolistische Struktur noch, indem sie nur für solche Produkte neue Produktionslizenzen vergibt, die nicht schon von einem existierenden Betrieb hergestellt werden oder hergestellt werden könnten.

Encore Products Limited: Emaille- und Metallwarenfabrik in Blantyre. Hersteller von Küchengeschirr und ähnlichen Produkten

Das strukturelle Ungleichgewicht zwischen Landwirtschaft und Industrie hat drei Konsequenzen:

  • Erstens verhindert die Existenz industrieller Betriebe für alle wesentlichen von der Bauernbevölkerung benötigten Produkte tendenziell die Entwicklung handwerklicher und kleinindustrieller Betriebe, die für eine bedarfsgerechtere Versorgung wichtig wären (Produktvielfalt, Anpassung der Produktion an spezielle Anforderungen, Reparatur von Werkzeugen, insbesondere von landwirtschaftlichen Geräten, Nähe zu den lokalen Märkten etc.). Das Fehlen dieses intermediären Sektors behindert auch die Herausbildung von technisch/handwerklichen und organisatorisch/unternehmerischen Fähigkeiten bei den Malawiern, die für die Entwicklung der Produktivkräfte in allen Bereichen der Wirtschaft wichtig wären.
  • Zweitens schafft die Konzentration der industriellen Produktion in wenigen monopolistischen Unternehmen und deren räumliche Zentralisation in wenigen Städten (vorwiegend in Blantyre und Lilongwe) starke regionale Disparitäten und verhindert die Entstehung kleiner und mittlerer Städte, die bei der Integration der nationalen Wirtschaft, d.h. vor allem der Vermittlung der Austauschbeziehungen zwischen landwirtschaftlichem und industriellem Sektor, wichtig wären.
  • Drittens bewirkt die strukturell unterschiedliche Produktivität in den beiden Sektoren einen permanenten Werttransfer von der Landwirtschaft in den industriellen Sektor. Dies wiederum behindert die Kapitalbildung bzw. die Erhöhung der Produktivität in der bäuerlichen Landwirtschaft.

Die Entwicklung der Industrie in der oben beschriebenen Form ist nicht nur davon abhängig, daß sich ein wachsender Teil der Bevölkerung von der Landwirtschaft löst bzw. aus ihr vertrieben wird und als Lohnarbeiter für die Industrie arbeitet und die Landwirtschaft die Ernährung des industriellen Proletariats durch ein ausreichendes Mehrprodukt sichert, sondern sie bedarf der Kleinbauern, neben den städtischen Arbeitern und Angestellten, auch als Käufer ihrer Produkte und darüber hinaus als Produzenten von landwirtschaftlichen Rohstoffen zur industriellen Weiterverarbeitung.
Dies spiegelt sich in der Industriestruktur Malawis, die geprägt ist von der Produktion von
—    Lebensmitteln
—    Baumwolltextilien
—    Schuhen
—    Zigaretten
—    Ölen, Seifen
—    landwirtschaftlichen Geräten.49
All diese Industrien brauchen den Kleinbauern als Käufer, die Textil-, Öl- und Zigaretten Industrien brauchen sie darüber hinaus als Rohstofflieferanten.
Die Erhöhung der Produktivität der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und die Vergrößerung des vermarktbaren Produkts erhöht also auch die kaufkräftige Nachfrage der Kleinbauern nach Produkten der vom ausländischen Kapital in Malawi aufgebauten Industrie.

Vermarktungspolitik und Abschöpfung des bäuerlichen Mehrprodukts

Die Vermarktung des Großteils des bäuerlichen Mehrprodukts wird von ADMARC, der halbstaatlichen landwirtschaftlichen Entwicklungs- und Vermarktungskorporation, durchgeführt. Bei Tabak, Baumwolle, Erdnüssen, Mais, Reis und Hülsenfrüchten besitzt ADMARC das Monopol. Der Verkauf an private Händler ist verboten50.
Die Einflußnahme des Staates auf die Vermarktung geht in Malawi zurück auf die Kolonialzeit. Nach dem Ersten Weltkrieg wuchs unter den Bauern die Unzufriedenheit mit der Organisation der Vermarktung und den von privaten Aufkäufern bezahlten Preisen. Die Regierung übernahm daraufhin die Verantwortung für die Vermarktung der Baumwolle, dem damals wichtigsten Verkaufsprodukt der Kleinbauern. Als die Preise jedoch weiterhin fluktuierten und sich der Unmut der Bauern nun gegen die Regierung richtete, wurde eine Regelung getroffen, nach der jedes Jahr im voraus die Aufkaufpreise festgelegt wurden und damit das Risiko fluktuierender Weltmarktpreise vom Bauer auf die Regierung übertragen wurde. Diese Regelung bildete die Basis für einen vorübergehenden Baumwoll- boom. Die Preisregulierung im voraus blieb jedoch auf die Baumwolle beschränkt. Preisschwankungen bei den anderen Produkten, Tabak und Reis, waren weiterhin Anlaß für Bauernproteste und Verkaufsboykotte 51.

Eingedenk dieser historischen Erfahrungen werden daher heute nicht nur die meisten Produkte von ADMARC vermarktet, sondern es werden auch für all diese Produkte Aufkaufpreise vor der Pflanzzeit festgelegt. Obwohl diese Preise fast immer auf sehr niedrigem Niveau festgelegt werden, ist dieser Aspekt der Vermarktungspolitik zunächst positiv zu bewerten, denn er setzt die warenproduzierenden Kleinbauern nicht ungeschützt den Zufälligkeiten des Weltmarktes aus. Verbunden mit der Preisfestsetzung ist eine Aufkaufgarantie, die sicherstellt, daß die Bauern auch ihr gesamtes Mehrprodukt verkaufen können. Entsprechend der angekündigten Preisstruktur kann der Bauer also entscheiden, welche Mengen er von bestimmten Produkten produzieren will 52.

Ein weiterer positiver Aspekt der Vermarktungspolitik von ADMARC ist die starke Dezentralisierung der Märkte. Neben größeren Depots und Märkten in Distrikthauptstädten und ländlichen Zentren betreibt ADMARC etwa 700 sog. saisonale Märkte, die während der Erntezeit in den Dörfern eingerichtet werden. In vielen Gegenden gibt es daher Märkte in fußläufiger Entfernung der Bauern. Auf diese Weise besteht ein großer Anreiz für die Kleinbauern, sich an der Cash-crop-Produktion zu beteiligen bzw. einen Teil ihres Mehrproduktes an Mais, Reis oder anderen Subsistenzfrüchten zu verkaufen 53.

Die für die Kleinbauern durchaus vorteilhafte Organisation der Vermarktung wird allerdings von einer Preispolitik konterkariert, die zu einer massiven Ausplünderung der Bauern führt 54.

Die Tabelle 4 zeigt ADMARCs Nettogewinne und -Verluste beim Handel mit landwirtschaftlichen Produkten im Zeitraum von 1971/72 bis 1979/80. Es sei angemerkt, daß ADMARC nur die Produkte von Kleinbauern aufkauft, während die Plantagen direkt mit den internationalen Käufern handeln.

Tabelle 4
ADMARCs Nettoprofite (Verluste) aus dem Handel mit Agrarprodukten in Preisen von 1980, 1971/72 – 1979/80 (1 000 Kwacha)

Produkt 1971/ 1972 1972/
1973
1973 /1974 1974 /1975 1975 /
1976
1976/
1977
1977/
1978
1978/
1979
1979/
1980
Gesamtprofit

(Verlust je Produkt

(9 Jahre)

Durchschnittsprofit

(Verlust) je Produkt

(1971/1972 –

1979/1980)

Tabak 12.795 8931 5351 9061 17.623 24.135 36.996 5656 3191 123.199 13.689
Reis (426) (344) 313 1054 (45) (1657) (1143) (916) (1837) (5001) (556)
Mais (97) (154) 3294 410 (4758) (2470) (3336) (4463) (4929) (16.503) (1834)
Erdnüsse 4864 5066 3697 1991 2103 9181 3638 2969 4412 37.921 4213
Baumwolle 1852 2156 3044 5825 767 2933 2019 1620 544 20.760 2307
allgemeine Produkte (1323) (3076) (2077) (2911) 889 2620 2006 715 (1298) (4456) (495)
Gesamtprofit (Verlust) zu Preisen von 1980 17.665 12.039 13.622 15.430 16.579 34.742 40.180 5581 83 155.920 17.324

Quelle: Kydd/Christiansen 1982, S. 367; berechnet auf der Grundlage von ADMARCs Gewinn- und Verlustrechnungen 1972 – 80.

Das gewinnträchtigste Produkt für ADMARC war der Tabak. Die Abbildung 7 zeigt die Differenz zwischen den von ADMARC an die kleinbäuerlichen Produzenten gezahlten Preise und den auf den Tabakauktionen erzielten Verkaufspreisen. Die Abbildung macht offensichtlich, daß ab Mitte der 60er Jahre ADMARC steigende Weltmarktpreise nur zu einem Bruchteil an die Bauern weitergegeben hat.
Die Bruttogewinne aus dem Handel mit Agrarprodukten beliefen sich auf K 20,2 Mio pro Jahr. Über den Neunjahreszeitraum addieren sie sich zu einer (Brutto-) Wertabschöpfung aus der kleinbäuerlichen Warenproduktion von K 181,9 Mio. 55.

Abbildung 7
Das Verhältnis der Tabakpreise, die ADMARC von der Auktion erhält, zu denen, die sie an die Bauern zahlt, 1953 – 1979 (laufende 5-Jahresdurchschnitte)


Quelle: Kydd/Christiansen 1982, S. 369; berechnet auf der Grundlage des Compendium of Agricultural Statistics, 1977, mit entsprechenden Ergänzungen.

Die Dimension dieser Summe wird deutlich, wenn man sie mit den Ausgaben der Regierung für Entwicklungsmaßnahmen im kleinbäuerlichen Sektor vergleicht. Im gleichen Zeitraum, d.h. von 1971/72 bis 1979/80, machten sie K 152,2 Mio aus56, also weit weniger, als ADMARCs Gewinne aus dem Handel mit Agrarprodukten. Nur zu einem verschwindenden Teil (4,3%) wurden diese Gewinne von ADMARC zur Entwicklung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft verwandt. Der überwiegende Teil wurde in der Industrie in Form von Beteiligungen an ausländischen Unternehmen57 und vor allem in der stark expandierenden nationalen kapitalistischen Plantagenwirtschaft investiert 58.

ADMARC mit seinem Monopol beim Handel mit Agrarprodukten ist der entscheidende ökonomische Hebel zur Mobilisierung der im kleinbäuerlichen Sektor schlummernden Ressourcen zum Aufbau nationaler kapitalistischer Unternehmen, seien sie nun im Eigentum halbstaatlicher Organisationen oder von Privatpersonen.

Abbildung 8 zeigt in schematischer Form diesen Zusammenhang.

Der Prozeß der ursprünglichen Akkumulation von Kapital vollzieht sich hier also nur zu einem Teil als Enteignung der ländlichen Produzenten von Grund und Boden und ihrer Verwandlung in ‘freie’ Lohnarbeiter59, d.h. nur insoweit, als Grund und Boden und Lohnarbeiter für den expandierenden Plantagensektor benötigt werden. Gleichzeitig muß sich das nationale Kapital in Ermangelung alternativer Quellen60 seine ‘ursprünglichen Akkumulationsmittel’ durch eine ‘Besteuerung’ des vom kleinbäuerlichen Sektor produzierten Mehrproduktes beschaffen, d.h. es muß den kleinbäuerlichen Sektor als Quelle von Akkumulationsmitteln erhalten. Die extreme ‘Besteuerung’ führt jedoch langfristig zur Destabilisierung nicht nur der kleinbäuerlichen Warenproduktion, sondern auch ihrer Subsistenzbasis. Die entsprechenden Tendenzen der Stagnation der bäuerlichen Cash-crop-Produktion und der Gefährdung der Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln wurden oben schon beschrieben.

Die hohe Wertabschöpfung aus dem kleinbäuerlichen Sektor gefährdet aber nicht nur die Existenzgrundlage der kleinen Bauern und den Erfolg der Landwirtschaftsprojekte, sondern langfristig auch die Investitionspolitik von ADMARC, die nur funktioniert, wenn die Bauern auch weiterhin ein Mehrprodukt produzieren und an ADMARC verkaufen. Zunächst soll hier jedoch untersucht werden, über welchen ökonomischen Mechanismus diese hohe Wertabschöpfung über den langen Zeitraum hinweg möglich war.

Die zentrale These zur Erklärung der Abschöpfung ist, daß die kleinbäuerliche Warenproduktion in hohem Maße durch die Subsistenzproduktion subventioniert wird. Die Tatsache, daß die warenproduzierenden Bauern ihren Lebensunterhalt durch Subsistenzwirtschaft sichern, erlaubt ADMARC, die Aufkaufpreise auf ein Niveau zu drücken, das andernfalls (bei ‘reiner’ Warenproduktion) bei weitem nicht ausreichen würde, die nötigen Subsistenzmittel auf dem Markt zu kaufen. Bei dieser Form der ‘Mischwirtschaft’ können die »Preise für Agrarprodukte anscheinend ins Bodenlose fallen«61. Die absolute Untergrenze bilden die Kosten der Produktionsmittel (Saatgut, Kunstdünger und Pestizide), die der Bauer über den Verkauf des Produkts ersetzt haben will, während seine eigene Reproduktion und die seiner Familie durch die Subsistenzproduktion quasi ‘wertlos’ — im Sinne der Werttheorie — geschieht 62.

Trotzdem wird der Bauer die Warenproduktion nicht fortsetzen bzw. werden keine Bauern neu für die Warenproduktion gewonnen, wenn der Verkauf seiner Produkte nicht einen minimalen Nettogewinn sichert. Je größer der Umfang der Warenproduktion im Verhältnis zur Subsistenzproduktion, desto mehr wird letztere vernachlässigt und in ihrer Produktivität reduziert, da sich die Zeiten intensiver Feldarbeit für Cash crops und Subsistenzprodukte überschneiden oder die Subsistenzproduktion von der Herstellung von nichtlandwirtschaftlichen Gütern wie Kleidung, Behausung, Hausgeräte etc. (die sonst die Zeit zwischen Ernte und Feldbestellung, die Trockenperiode von Mai bis Oktober, ausfüllte) eingeschränkt wird. Die Warenproduktion muß dann einen Teil der Subsistenz in Form bestimmter Konsumgüter, die auf dem Markt gekauft werden, sichern.

Die für die Agrarprodukte gezahlten Aufkaufpreise können daher nur bis zu einem gewissen Punkt gedrückt werden, bevor sie eine Einschränkung der Warenproduktion durch die Bauern bewirken. Die Entwicklung der kleinbäuerlichen Verkaufsfrüchteproduktion bis Ende der 70er Jahre hat gezeigt, daß dieser Punkt z.T. schon überschritten wurde. Die widersprüchliche Beziehung zwischen dem kapitalistischen und dem kleinbäuerlichen Sektor, in der »der eine den anderen erhält, um ihm seine Substanz zu entziehen und ihn dadurch zerstört«63, spiegelt sich in der Preispolitik ADMARCs, d.h. in der jeweiligen Entscheidung über den Grad der ‘Besteuerung’ der Kleinbauern.

Die Preispolitik ADMARCs im Spannungsfeld der Interessen von nationalem Kapital und internationaler ‘Entwicklungsförderung’

Entsprechend der zentralen Funktion ADMARCs als Instrument zur Mobilisierung von Akkumulationsmitteln für den kapitalistischen Sektor kommt der Festsetzung der Aufkaufpreise für die Produkte der Kleinbauern eine Schlüsselrolle in der malawischen Agrarpolitik zu. Es ist daher kein Zufall, daß die Preispolitik von ADMARC noch bis vor kurzem vom Präsidenten höchstpersönlich kontrolliert wurde und in der innermalawischen Diskussion ein wohlrespektiertes Tabu war.

Die Höhe der Ankaufpreise von ADMARC bestimmt nicht nur den Anteil der Kleinbauern am Verkaufserlös ihrer Produkte auf dem Weltmarkt, sondern auch die Höhe des Akkumulationsfonds, der über ADMARC an den kapitalistischen Sektor verteilt werden kann. Zugleich bestimmt sie indirekt das Ausmaß der Zerstörung der Bedingungen der kleinbäuerlichen Cash-crop- und Subsistenzproduktion. Mit der Preispolitik ADMARCs wird also entschieden, ob der kleinbäuerliche Sektor — auch als langfristige Quelle von Akkumulationsmitteln — erhalten wird, oder ob er durch einen weitgehenden Substanzentzug zerstört wird. Die Preispolitik ADMARCs bewegt sich damit im Spannungsfeld zweier unterschiedlicher Interessen: Das nationale Kapital auf der einen Seite, d.h. die Plantagen und Industrieunternehmen, die von ADMARC günstige Kredite erhalten, ist daran interessiert, den verfügbaren Fonds an Akkumulationsmitteln kurzfristig zu maximieren, d.h. die Ankaufpreise auf einem möglichst niedrigen Niveau zu halten. Die Institutionen der internationalen Entwicklungsförderung, die die landwirtschaftlichen Entwicklungsprojekte in Malawi finanzieren, sind auf der anderen Seite daran interessiert, Bedingungen zu schaffen, die die Produktion von Cash crops durch die Kleinbauern maximieren, einschließlich der notwendigen finanziellen Anreize in Form attraktiver Preise.

Die Abbildungen 9a und b zeigen die unterschiedlichen Interessen von nationalem Kapital und der internationalen Entwicklungsförderung in schematischer Form im Kontext des malawischen Entwicklungsmodells.

Der Anbau von Cash crops durch die Bauern ist zum größten Teil Produktion für den Weltmarkt. Die ExportprodukteTabak, Baumwolle und Erdnüsse machen rund drei Viertel der kleinbäuerlichen Warenproduktion aus64. Das Interesse der internationalen Entwick- lungsförderung, der Entwicklungshilfe der kapitalistischen Länderund ihrer Organisationen wieder Weltbank, ist es, die Entwicklungsländer zunehmend in den Weltmarkt zu integrieren, d.h. im Falle Malawis, dafür zu sorgen, daß sich seine Produktion von Agrarpoduk- ten für den Weltmarkt erhöht. Dabei geht es nicht nur darum, die Versorgung der kapitalistischen Metropolen mit billigen agrarischen Rohstoffen zu sichern, sondern auch darum, Malawi als einen mit den nötigen Devisen ausgestatteten Nachfrager nach Waren der Industrieländer zu qualifizieren 65.

In den 70er Jahren hat die von der malawischen Entwicklungspolitik forcierte Expansion der Plantagenwirtschaft die stagnierende Produktion der Kleinbauern an landwirtschaftlichen Exportprodukten kompensiert. In dieser Zeit konnte sich deshalb das Interesse des nationalen Kapitals durchsetzen, die Ankaufspreise, die ADMARC den Kleinbauern zahlt, niedrig zu halten, ohne daß die Geberorganisationen ihrer Forderung nach Preisanreizen, wie sie von der Weltbank z.B. immer schon erhoben wurden, Nachdruck verliehen. Als jedoch Anfang der 80er Jahre die Plantagenwirtschaft in die Krise geriet und die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die Ökonomie Malawis die Widersprüche des malawischen Entwicklungsmodells deutlicher werden ließen, beharrten die Entwicklungshilfegeber, insbesondere die Weltbank, darauf, die kleinbäuerliche Warenproduktion durch Preisanreize zu erhöhen.

Ausgehend von der Prognose, daß der Plantagensektor in Zukunft sehr viel langsamer als bisher (4 – 5% statt 17%) wachsen wird, erklärt die Weltbank in ihrem letzten umfassenden Bericht über Malawi, daß die »verbesserte Leistungsfähigkeit des kleinbäuerlichen Sektors das Schlüsselelement in der Entwicklungsstrategie der 80er Jahren sein müsse«66. Die Verbesserung der Preisanreize spiele dabei eine wichtige Rolle, um die Produktion der Kleinbauern zu stimulieren67. Die Vergabe eines‘Strukturanpassungskredits’ an Malawi im Jahre 1981 benutzte die Weltbank schließlich, um eine entscheidende Erhö

hung von ADMARCs Ankaufspreisen durchzusetzen. Anfang 1983 setzte ADMARC die Preise für die wichtigsten Produkte um nominell 35 -100% herauf68.
Die Weltbank, in Verfolgung ihres Interesses, die Bedingungen für eine langfristige Entwicklung kapitalistischer Produktionsverhältnisse in den Ländern der 3. Welt zu schaffen und zu sichern, versucht mit ihrer Entwicklungsstrategie für Malawi auch der Zerstörung der Reproduktionsbasis des kleinbäuerlichen Sektors zumindest insoweit entgegenzuwirken, als er die Subsistenz sowohl der waren produzierenden Bauern wie der Lohnarbeiter und die Selbstversorgung Malawis mit Nahrungsmitteln ohne Kosten für den kapitalistischen Sektor sichert. D.h. die Entwicklung des kapitalistischen Sektors, ob national oder ausländisch, ist auch in Zukunft davon abhängig, daß die Möglichkeit erhalten bleibt, »die Reproduktions- und Ausbildungskosten sowie die Unterhaltskosten auf den traditionellen Sektor abzuwälzen, aus dem er die Arbeitskraft (und die Akkumulationsmittel, d. Verf.) schöpft, die er braucht«. 69

Es ist deshalb kein Widerspruch zur sonst gewohnten Orientierung der Weltbank auf die Förderung der Exportproduktion, wenn sie angesichts der akuten Landverknappung und des absehbaren Nahrungsmitteldefizits in Malawi in ihren Empfehlungen zur Entwicklung des kleinbäuerlichen Sektors besonderes Gewicht auf die Sicherung der Selbstversorgung mit Nahrungsmittelnlegt70. So sollen die Beratungsprogramme und die Agrarforschung, die bislang fast ausschließlich auf den Anbau von Cash crops orientiert waren, in Zukunft stärker auch auf den Anbau von Subsistenzfrüchten ausgerichtet werden 71.

Die Sorge um die Subsistenzsicherung der Kleinbauern resultiert dabei auch aus der Erfahrung, daß diese nur dann Cash crops anbauen, wenn ihre Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln gesichert ist72. Voraussetzung für die Steigerung der Cash-crop-Produktion ist also die Sicherung der Eigenversorgung durch verbesserte Erträge bei den Subsistenzfrüchten, insbesondere den lokalen Maissorten 73.

Der von der Weltbank ausgehende Druck auf die malawische Regierung, die Ankaufspreise für die Produkte der Klein bauern, und darunter auch die für Mais, zu erhöhen, zielt daher nicht auf eine grundsätzlich neue Entwicklungsstrategie, sondern betont lediglich die langfristigen Aspekte bei der Schaffung notwendiger Voraussetzungen für eine kapitalistische Entwicklung in Malawi, während das nationale Kapital, hier vor allem vertreten durch Unternehmen wie Press (Holdings), die von ADMARCs günstigen Krediten profitieren, bislang vor allem daran interessiert war, kurzfristig die nötigen Mittel zur Kapitalakkumulation durch eine möglichst weitgehende Besteuerung der Kleinbauern zu beschaffen 74.

Abb. 9:
Nationale und internationale Interessen am malawischen Entwicklungsmodell
Abb 9a:
Nationales Kapital

Abb. 9b:
Internationale Entwicklungsförderung

Abb. 9c:
Bundesrepublik Deutschland
Die vermittelte Durchsetzung des Interesses der Bundesrepublik Deutschland an der Industrialisierung in Malawi

 

Die Entwicklung nationaler kapitalistischer Plantagen

Struktur des Plantagensektors

Die kapitalistischen Plantagen bilden das Rückgrat des modernen Wirtschaftssektors und der Exportproduktion, obwohl sie nur 15% des landwirtschaftlichen Produkts produzieren 75.

Der Tabelle 5 ist zu entnehmen, daß Tabak, Zucker und Tee die wichtigsten Exportprodukte sind; Zucker und Tee werden fast ausschließlich, Tabak immerhin zu ca. 85% auf den Plantagen produziert. Zusammen machten diese drei Farmprodukte 1981 schon 71 % des gesamten Exports aus.

Historisch und strukturell lassen sich die Plantagen nach drei Kategorien unterscheiden:
•    die Teefarmen des Shire-Hochlandes, als Erbe der Kolonialzeit,
•    die Zuckerplantagen und -fabriken, von Lonrho bewirtschaftet und teilweise finanziert und
•    die Tabakfarmen der malawischen Agrarbourgeoisie.

Tabelle 5
Die Entwicklung des Außenhandels von 1970 bis 1981 (Kwacha 1 000)

Zeit-raum Gesamt-importe Exporte Reex-porte Exporte Bilanz Warenexporte
Tee Tabak Erd-nüsse Bw. Zucker
1970 71.367 (fob) 40.577 9.120 49.697
  • 22.076
10.916 16.592 4.241 2.777 158
1970 82.480 (cif) 40.577 9.120 49.697 – 32.785 10.916 16.592 4.241 2.777 158
1971 89.750 49.577 9.725 59.302 – 30.448 11.905 22.066 5.883 2.547 314
1972 102.913 55.142 9.344 64.486 – 38.427 12.022 24.968 7.123 2.567 360
1973 114.651 68.802 11.117 79.919 – 34.732 13.721 30.259 5.922 1.951 3.276
1974 157.726 89.534 11.772 101.306 – 56.420 17.220 39.269 5.202 2.720 9.180
1975 218.663 106.283 15.839 122.122 – 96.541 21.730 51.132 6.490 1.932 12.286
1976 188.480 141.030 10.592 151.622 – 36.858 26.431 69.930 11.243 2.348 23.203
1977 209.764 171.970 8.360 180.330 – 29.434 41.626 86.651 8.861 2.435 14.928
1978 284.747  148.784 6.873 155.657  -129.090 29.098 86.146 4.673 697 12.207
1979 324.838 176.305 5.403 181.708  -143.130 30.590 98.638 8.866 1.840 16.118
1980 357.207 218.307 12.700 231.007 -126.200 29.751 100.796 15.937 4.517 37.719
1981 321.949 245.954 11.540 257.494 – 64.455 31.108 101.589 10.622 1.470 67.232

Quelle: Monthly Statistical Bulletin, September 1982

Die Plantagen der Kolonialzeit existieren in kaum veränderter Form bis auf den heutigen Tag. Sie sind nach wie vor voll in Besitz englischer, italienischer und griechischer Gesellschaften. Heute wird dort hauptsächlich Tee angebaut, aber auch Tabak, Makadamia- Nüsse und Kaffee. Sie liegen in den Distrikten Thyolo, Mulanje, Chiradzulu und Zomba in der Südregion Malawis.

Die zweite Kategorie von Plantagen sind die beiden Zuckerplantagen im Shiretal im äußersten Süden des Landes und an der Flußmündung des Dwanga, entlang des Malawi-Sees, in der Zentralregion. Bereits vor der Unabhängigkeit Malawis interessierte sich Lonrho, ein Unternehmen mit Sitz in London und ausgedehnten Interessen in Nord- und Südrhodesien und Südafrika, für die Entwicklung einerZuckerplantage in Malawi. Nachdem klar ge- worden war, daß Dr. Banda als Führer der nationalen Unabhängigkeitsbewegung und der Malawi Congress Party die zukünftige Entwicklung Malawis mit umfangreicher Hilfe und Investitionen vom westlichen Ausland finanzieren wollte76, stand einem großangelegten Engagement von Lonrho nichts mehr im Wege. Auf einer Party, die Banda 1965 für die Gesellschaft gab, sagte er: »Ich habe diesen Leuten gesagt, daß sie hier willkommen sind. Das gleiche gilt für andere Geschäftsleute und Individuen, die hierherkommen wollen. Sie können kommen und machen, was sie wollen; und sie können es mit nach London nehmen — natürlich, nachdem ich es besteuert habe.« 77

Im Gegensatz zu den alten kolonialen Plantagen gibt es bei den Zuckerplantagen und -fa- briken eine wesentliche nationale Kapitalbeteiligung durch ADMARC und Press (Holdings). Beide Plantagen beschäftigten 1980 11.000 Arbeiter (rd. 6% der im formellen Landwirtschaftssektor Beschäftigten). 1981 exportierten sie Zucker im Wert von K 67 Mio, fast 1/3 aller landwirtschaftlichen Exporte78. Seit 1982 wird aus der Molasse Äthanol gewonnen, das dem Benzin beigefügt wird und rd. 10% des nationalen Verbrauchs an Benzin ersetzt bzw. Importe einspart.

Die dritte Kategorie von Plantagen sind die Tabakfarmen der nationalen Agrarbourgeoisie. Diese Farmen sind im ausschließlichen Besitz malawischer Gesellschaften oder von Einzelpersonen. Alle Farmen, mit Ausnahme der beiden erwähnten Zuckerplantagen, die nach der Unabhängigkeit entstanden, fallen in diese Kategorie. Historisch und strukturell sind sie nochmals in zwei Gruppen zu unterscheiden:

  • die Farmen des Präsidenten und des Press (Holdings)-Unternehmen und
  • die Farmen einzelner malawischer Politiker, von Regierungsbeamten und höheren Angestellten.

Informationen über die Farmen des Präsidenten und der Press (Holdings) sind äußerst spärlich. Der Präsident besitzt mindestens sieben Großfarmen in Malawi79, die vor allem Burley-Tabak anbauen. Der Großfarmbesitz des Präsidenten als solcher wird keineswegs verheimlicht oder heruntergespielt. Im Gegenteil, er wird der Bevölkerung als ein Beitrag zur Entwicklung des Landes und zur Erziehung seiner Bauern dargestellt:
»’Das Land war nicht arm, alles was es brauchte, war Entwicklung’, sagte der Ngwazi… Er sagte, er habe seine Plantagen in Kasungu, Mchinji und Lilongwe eröffnet, so daß die Leute aus der Umgebung bessere landwirtschaftliche Methoden erlernen könnten.«80
Das Press (Holdings)-Unternehmen ging hervor aus einem kleinen Betrieb, den die Malawi Congress Party vor der Unabhängigkeit für die Produktion ihrer Zeitung (daher der Name ‘Press’) gründete. Inzwischen entwickelte sich Press zum größten nationalen Konzern mit Beteiligungen an Großfarmen (die Tochter General Farming ist der Welt größter Produzent von Flue-cured-Tabak81), Banken, Handelsunternehmen, Transport- und Industrieunternehmen. Dr. Banda hält als ‘Treuhänder der Nation’ 100% des Kapitals 82.

Mit den Unternehmen General Farming und Press Farming betreibt die Press Holding die größten Tabakfarmen neben denen des Präsidenten. Diese Farmen sind hauptsächlich im Kasungu-Distrikt der Zentralregion konzentriert. Sowohl die Farmen des Präsidenten wie die von Press entwickelten sich kontinuierlich seit der Unabhängigkeit.

Eine vergleichsweise neue Erscheinung sind die Plantagen der neu entstehenden nationalen Agrarbourgeoisie, bestehend aus Politikern, Angehörigen der Armee, Polizei und Partei und höheren Beamten und Angestellten, die im Zuge des ‘Plantagen-Booms’ der 70er Jahre entstanden83.

Die Tabelle 6 zeigt die quantitative Entwicklung der drei Großfarmkategorien. Verallgemeinernd läßt sich sagen, daß die traditionellen Großfarmen, die vorwiegend Tee produzieren, ihre Produktion nur mäßig steigern konnten, während die Großfarmsektoren mit teilweiser (Zucker) und ausschließlicher nationaler Kapitalbeteiligung (Tabak) ein deutlich höheres Wachstum der Produktion verzeichnen konnten. Die Verdoppelung der Wachstumsrate bei der Tabakproduktion zwischen den Jahrzehnten 1960 – 70 und 1971 – 80 ist dabei ganz wesentlich auf die neu entstandenen Tabakfarmen der nationalen Agrarbourgeoisie zurückzuführen.

Entwicklung der Plantagenproduktion, 1960 – 1969, 1970 – 1980 Jährliche Wachstumsraten des Produktionswerts und -volumens

Volumen der Plantagenproduktion Zeitraum Tabak Tee Zucker Wert der Plantagenproduktion Tabak Tee Zucker
1960-69

1970-80

11,2%

20,0%

3,7%

6,6%

22,2% 20,5%

31,2%

2,1 % – 13,8% 36,8%

Quelle: Kydd/Christiansen 1982, S. 361; berechnet auf Basis einer Trendlinie, die das durchschnittliche Wachstum über den jeweiligen Zeitraum darstellt.

Staatliche Förderung des nationalen Plantagensektors

Im folgenden soll die zweite Gruppe des nationalen Großfarmsektors, d.h. die in den 70er Jahren neu entstandenen Tabakfarmen näher untersucht werden, da hier in besonderem Maße typische Merkmale der malawischen Entwicklungspolitik zum Ausdruck kommen.
Die Konzeption der malawischen Politik ist darauf ausgerichtet, eine kapitalistische Entwicklung in der Landwirtschaft und Industrie zu fördern und hierfür auch ausländisches Kapital nach Malawi anzuwerben. Daneben bestand aber auch das Ziel einer schrittweisen Malawisierung der kapitalistischen Entwicklung. Diese wurde zum einen über Beteiligungen malawischer Institutionen wie der Malawi Development Corporation (MDC) und ADMARC an größeren Unternehmen (wie z.B. an den Lonrho-Zuckerplantagen) erreicht 84.

Teepflücker auf einer Teeplantage im Thyolo-Distrikt

Zum anderen wird versucht, die Herausbildung einer malawischen Bourgeoisie als politischen und ökonomischen Träger einer kapitalistischen Entwicklung und die Bildung von Kapital in Händen dieser Bourgeoisie zu fördern. Als geeignetes ‘Aktionsfeld’ für diese Bourgeoisie bot sich die Plantagenwirtschaft und hier besonders der sich in den 70er Jahren boomartig ausdehnende Tabakanbau an.

Die ‘Schaffung’85 einer malawischen Agrarbourgeoisie wurde durch den Präsidenten in feudaler Manier, quasi per Dekret, in die Wege geleitet:
»Hier gibt es keine Arusha-Erklärung. Meine Minister müssen ihre eigenen Plantagen haben, damit, wenn sie die Menschen zu harter Arbeit anhalten, sie das nicht nur verbal tun, sondern durch ihr Vorbild.« 86

Was hier als ein Appell an die guten Tugenden der Nation erscheint und in der öffentlichen Ansprache vor Bauern, der dieses Zitat entnommen ist, auch so erscheinen soll, ist in Wirklichkeit ein Appell an den Unternehmensgeist der politisch-administrativen Elite Malawis:
»Wenn einem Minister sein Gehalt nicht reicht, um Leute zu beschäftigen, dann muß er die Angelegenheit mit einem, zweien oder sogar drei oder vier seiner Kollegen besprechen. Dann ihre Ressourcen zusammentun und eine Firma gründen, um auf diese Weise genügend Geld zu beschaffen, um Leute anzustellen, die für sie als Firma oder Gruppe  Landwirtschaft betreiben. Ich wiederhole… ich werde keine Entschuldigung von irgendeinem Minister, Parlamentsabgeordneten, Staatssekretär, Mitglied der Frauenliga, noch einem Mitglied der Jugendliga akzeptieren; keine Entschuldigung !« 87

Neun Jahre später, im Juni 1978, kann Dr. Banda bereits vom Erfolg seiner Politik berichten: »Der Ngwazi erinnerte daran, daß er seine Minister die Wichtigkeit der Landwirtschaft gelehrt hat, an der sie heute eine Menge Geld verdienen. Der Minister für Jugend und Kultur, Mr. Gwanda Chakwamba, gab zu, daß er jetzt mehr Geld mit der Landwirtschaft verdiene.«88

Die von oben betriebene Transformation der politischen Elite in eine ökonomische, die ‘Einsetzung’ einer malawischen Bourgeoisie, gewinnt vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung Malawis seine Bedeutung. Die ökonomische Basis für eine nationale Bourgeoisie bildet sich ‘normalerweise’ aus der Entwicklung des Handwerks und des Handels. Während das Handwerk durch die koloniale Politik der Einfuhr billiger Massenware aus England schon frühzeitig ausgeschaltet wurde, wurde der Handel sehr bald von der asiatischen Bevölkerungsgruppe monopolisiert. Das von dieser, gewissermaßen fremden, Gruppe akkumulierte Kapital soll jedoch aus politischen Gründen nicht die Basis für die kapitalistische Entwicklung des Landes sein, zumindest nicht direkt, d.h. mit den Asiaten als Träger der Entwicklung.

Das Fehlen der sonst naturwüchsig sich entwickelnden Grundlage für die Herausbildung einer malawischen Bourgeoisie macht es also nötig, sie künstlich zu schaffen.
«… schenkt ihnen Leben, damit sie, wie er, der mehrfache Gutsherr und Großunternehmer, hinausgehen aufs Land, es roden und bewirtschaften, Arbeitsplätze schaffen, Kapital akkumulieren, Volksvermögen ansparen, egal in welchen Taschen.« Der Spiegel, Nr. 3/1981

Der feudalen Manier dieser Politik entsprechend ‚vergab’ Präsident Dr. Banda in vielen Fällen einzelne Ländereien an Repräsentanten der politisch-administrativen Elite, um Tabakfarmen  zu betreiben. Der Präsident handelte dabei in seiner Funktion als Treuhänder des Stammeslandes. Die Zustimmung der Häuptlinge zur Verwandlung von traditionellem Land, das in machen Fällen von Kleinbauern besiedelt war, in privates Pachtland wurde oft dadurch sichergestellt, daß auch ihnen ein Stück Land zur Betreibung einer Farm und die dafür nötigen Vorzugsbedingungen bei der Kreditvergabe etc. gegeben wurden. Die Pacht, die von den neuen ‘Farmern’ an die Staatskasse gezahlt werden muß, ist verschwindend klein.

Die Idee Bandasailerdings, daß die Minister nur ihre Spargroschen Zusammenlegen müßten, um eine Farm zu gründen, war reichlich illusorisch, denn erstens erhalten Minister und andere Vertreterder politisch-administrativen Elite ein relativ kleines Einkommen von 20 – 30.000 DM pro Jahr, während sich ihre Privilegien eher in luxuriösen Wohnhäusern, Dienstwagen und großzügiger Spesenausstattung zeigen. Zweitens gab es seitens der Regierung Druck, auf den neuen Farmen vor allem den sog. Flue-cured-Tabak zu produzieren, der in den 70er Jahren hohe Preissteigerungen auf dem Weltmarkt verzeichnete (siehe Tabelle 7). Zur Produktion von Flue-cured-Tabak sind jedoch Trockenhäuser nötig, die die Anfangsinvestitionen stark in die Höhe treiben. Es wird geschätzt, daß für eine Farm, die ca. 50 ha Tabak pro Jahr anbaut, Investitionskosten im ersten Jahr von rund DM 0,5 Mio erforderlich sind 89.

Tabelle 7
Entwicklung der Tabakauktionsverkäufe von 1969 bis 1981

Flue-cured Burley
Zeitraum Menge (1 000 kg) Preis

(t/kg)

Menge (1 000 kg) Preis

(t/kg)

1969 2.771 86,95 3.462 81,46
1970 4.676 83,69 5.674 62,57
1971 6.409 90,76 5.669 52,58
1972 8.649 89,15 5.634 55,25
1973 9.990 129,26 6.045 79,26
1974 10.522 148,90 5.372 108,84
1975 14.899 129,76 7.997 93,32
1976 16.170 147,85 6.598 103,38
1977 19.584 172,17 10.044 138,36
1978 20.850 171,26 10.584 115,73
1979 25.155 157,99 14.911 107,45
1980 26.301 100,95 16.686 117,74
1981 19.714 179,33 18.804 231,61

Quelle: Monthly Statistical Bulletin, Sept. 1982

Die Folge war, daß die neuen Farmen in den meisten Fällen ohne jegliches Eigenkapital der designierten ‘Farmer’, also zu 100% mit Krediten finanziert werden mußten. Die nationalen Banken, vor allem die National Bank of Malawi, vergaben dabei die Kredite nicht auf der Grundlage der normalerweise geforderten Sicherheiten, sondern auf Grund politischer Weisung des Präsidenten. Die Kredite wurden mit 13 -15% verzinst 90.

Für landwirtschaftliche Unternehmen sind dies abenteuerliche Finanzierungsbedingungen, denn die Wetterabhängigkeit von nicht bewässerter Agrarproduktion verlangt entsprechend große Spielräume bei der Rentabilitätsberechnung.
Dazu kommen die enormen Preisschwankungen für Tabak auf dem Weltmarkt (von 1979 auf 1980 z.B. sank der Kilopreis für Flue-cured-Tabak von 1,57 auf 1,00 Kwacha).
Außerdem wurden — weil gut ausgebildete malawische Plantagenmanager fehlten — vor allem junge, aber gleichfalls unerfahrene (weiße) rhodesische Manager eingestellt, die wegen des Kriegs ihr Land verlassen hatten.

Ausbeutung der Plantagenarbeiter

Die durch die Kreditfinanzierung gesetzten Kapitalverwertungsbedingungen zwingen die Plantagenbesitzer zu einer extremen Ausbeutung der Landarbeiter und der natürlichen Ressourcen.
In der Zeit der stark forcierten Entwicklung von nationalen Tabakfarmen, d.h. von 1970 bis 1980, sank der Reallohn der Plantagenarbeiter um jährlich 6%91. Für ungelernte Arbeiter betrug er 1980 Kwacha 0,35 (= DM 1,-) pro Tag. Dazu erhalten sie eine Tagesration Maismehl für das nationale ‘Nsima’-Gericht. Kwacha 0,35 entspricht dem Gegenwert eines Laibes Brot oder einer 0,3l-Flasche des in Malawi gebrauten Carlsberg-Bieres. Die Löhne werden von der Regierung festgelegt.

Die extrem niedrigen Löhne können nur die Reproduktion des Landarbeiters selbst, und auch nur für die Dauer der tatsächlichen, oft saisonalen Arbeitszeit sichern, nicht jedoch die Reproduktion seiner Familie. Frau und Kinder des Landarbeiters sind darauf angewiesen, ihre Reproduktion durch Subsistenzwirtschaft zu sichern. Die Subsistenzwirtschaft erlaubt also nicht nureine hohe Abschöpfung aus der kleinbäuerlichen Warenproduktion, sondern sie subventioniert auch, vermittelt über niedrige Landarbeiterlöhne, die kapitalistische Plantagenwirtschaft.
Für ihre Unterkunft müssen die Arbeiter selbst sorgen — sie bauen sich provisorische Hütten aus Ästen, Lehm und Gras. Eine Wasserstelle mit Brunnenwasser ist oft die einzige Einrichtung, die die Plantagenbesitzer ihren Arbeitern gewähren.

Vielfach sind die Gebiete, in denen die Tabakfarmen entstanden, bislang kaum besiedelt gewesen, ohne Dörfer und daher ohne Einrichtungen wie Schulen, Krankenstationen, Post, Markt, Geschäfte etc. Stundenlange Fußmärsche sind oft nötig, eine dieser Einrichtungen zu erreichen. So kommt es, daß die Landarbeiter nicht nur wegen der niedrigen Löhne, sondern auch wegen dieser katastrophalen Lebensbedingungen ihre Frauen und Kinder an ihrem Herkunftsort zurücklassen müssen, der oft mehrere hundert Kilometer entfernt ist.

Die Regierung hat mit ihrer Lohnpolitik nicht nur die Löhne gedrückt, sondern sie hat den Plantagen auch ein ausreichendes Angebot an Arbeitern gesichert, indem sie die Wanderarbeit nach Südafrika, Zimbabwe und Sambia entsprechend regulierte. So hat sich die Zahl der Wanderarbeiter in den siebziger Jahren laut offizieller Statistik von 123 000 auf heute rund 20 000 reduziert 92.

 

Frauen beim Bündeln von Tabakblättern auf einer Plantage in Nordmalawi

Ein zusätzlicher Faktor mobilisierte Arbeitskräfte für den Plantagensektor: das Einkom-men der bäuerlichen Warenproduzenten wurde durch die hohe Wertabschöpfung derart niedrig gehalten, daß viele Bauern trotz sinkender Reallöhne im Plantagensektor die Produktion von Cash crops auf dem eigenen Stück Land zugunsten der Lohnarbeit auf den Plantagen aufgaben.
Trotzdem haben viele Plantagen Probleme, eine ausreichende Zahl von Arbeitern auf der Farm zu halten. Viele Arbeiter bleiben nur wenige Monate, obwohl es für den Großteil von ihnen das ganze Jahr über Arbeit gäbe. Von neu entstandenen Tabakplantagen in der Nordregion wurde berichtet, daß im Laufe des ersten Jahres ca. 4.000 Landarbeiter rekrutiert werden mußten, um einen Stamm von rund 400 Arbeitern auf der Plantage zu haben. Mit Lastwagen werden die ‚Rekruten‘ aus den Dörfern der dicht besiedelten DistrikteThyo- lo, Chiradsulu, Mulanje, Mangochi und Machinga z.T. 800 km von den Plantagen entfernt, ’eingesammelt’. Man kann sich vorstellen, wie unerträglich Arbeits- und Lebensbedingungen auf den Farmen sein müssen, wenn es die Arbeiter dort nur wenige Monate aushalten.

Eingriffe in das ökologische System

Eine weitere Folge der forcierten Entwicklung der Großplantagen sind erhebliche Eingriffe in das ökologische System der betroffenen Regionen Malawis. Die in den siebziger Jahren neu entstandenen Plantagen bauen vorwiegend sog. Flue-cured-Tabak an. Zur Trocknung dieser Sorte werden die Tabakblätter in geschlossenen Räumen aufgehängt, die eine Woche lang beheizt werden. Als Brennmaterial dient dazu Holz, das bei der Rodung der zu bebauenden Ländereien anfällt. Die restriktiven Finanzierungsbedingungen führen jedoch dazu, daß die Trockenräume nur mit primitiven Öfen ausgerüstet werden93, in denen zur Trocknung des Tabaks von 1 ha Land Holz von 4 ha Wald verheizt wird94. Nach bereits zwei Jahren ist das bei der Rodung eines bestimmten Stückes Land gewonnene Holz bereits verbraucht, wenn auf diesem Land Tabak angebaut wird. Für Wiederaufforstung werden aber von den kreditgebenden Banken in den ersten Jahren keine Mittel zur Verfügung gestellt, ganz abgesehen davon, daß damit hochwertiges, langsam wachsendes Buschholz durch leichtes, schnell wachsendes Holz ersetzt wird.

Es kommt hinzu, daß Tabak den für seinen Anbau günstigen sandigen Boden stark auslaugt, so daß er nur jedes vierte Jahr auf dem gleichen Stück Boden angebaut werden sollte. Der Zwang zur Erwirtschaftung hoher Anfangsgewinne zur Rückzahlung der Kredite führte jedoch auf vielen Farmen dazu, daß zwei Jahre hintereinander Tabak gepflanzt wurde, bevor die dreijährige Brache einsetzte. Dadurch entsteht die Gefahr, daß der ohnehin empfindliche Boden überbeansprucht wird.

Die Art, in der Flue-cured-Tabak angebaut und verarbeitet wird (Trocknung mit Holz), gefährdet also langfristig die Grundlagen der Produktion dieser Tabaksorte und kann dar- überhinaus zu dauerhaften ökologischen Schäden führen.

Die Finanzierung des Plantagensektors

Die Finanzierung des nationalen ‚Plantagen-Booms‘ der siebziger Jahre erforderte gewaltige Mittel, die von diesem Sektor nicht selbst aufgebraucht werden konnten. Da es sich hier um den nationalen Teil des Plantagensektors handelt, also nicht um die kolonialen Teefarmen oder die Zuckerplantagen von Lonrho, stellt sich die Frage, aus welcher malawischen Quelle die Mittel geflossen sind. Zunächst sind da die Gewinne, die ADMARC beim Handel mit den Produkten der Kleinbauern macht.

Tabelle 8 zeigt, daß der Großteil der ADMARC-Gewinne für Investitionen in der Wirtschaft verwendet wird. Die Kategorien ‚zweckgebundene Anlagen’ und ‚Beteiligungen und Kredite’ repräsentieren im wesentlichen die Verwendung der Gewinne aus dem Produktenhandel, während die Kategorien ‚Sachanlagen‘ und ‚Umlaufvermögen‘ fixe und laufende Betriebskosten darstellen. 66% der Investitionen gingen in die Plantagenwirtschaft, nur 4,3% dagegen in Bereiche, die sich auf die Kleinbauernwirtschaft beziehen.

Vermittelt über ADMARC finanzierten also die Kleinbauern mit ihrem Mehrprodukt einen Großteil der Investitionen im nationalen Plantagensektor. Sieht man die Verwendung der ADMARC-Gewinne vor dem Hintergrund der Landwirtschaftsprojekte, die, mit günstigen Entwicklungshilfe-Krediten oder -Zuschüssen von befreundeten Ländern und internationalen Organisationen finanziert, die Produktivität der Kleinbauern erhöhen sollen, so wird deutlich, daß hier ausländisches Kapital zum Aufbau der nationalen Plantagenwirtschaft und der Herausbildung einer malawischen Agrarbourgeoisie benutzt wird.

Tabelle 8
Nettoanlagevermögen und Zusammensetzung der Beteiligungen von ADMARC, 1978

Zusammensetzung des Anlagevermögens

Art des Vermögens Wert (Mio. K)
Sachanlagen1) 19,6
Beteiligungen und Kredite2) 54,1
Zweckgebundene Anlagen3) 9,0
Umlaufvermögen4) 38,3
Summe 121,0

 

Zusammensetzung der Beteiligungen und Kredite

%
Anlagen bei Industrien, die vorwiegend auf die kleinbäuerliche Landwirtschaft bezogen sind 4,3
Anlagen bei Industrien, die vorwiegend auf die Plantagenwirtschaft bezogen sind 1,7
Anlagen bei Tabakplantagen 50,9
Anlagen bei Zuckerplantagen 15,1
Anlagen bei Geschäftsbanken, Investitionsbanken und Finanzinstituten 5,4
Andere Anlagen 22,6

Quelle: Kydd/Christiansen 1982, S. 368
1)    Die Sachanlagen stellen den Buchwert von Maschinen, Anlagen, Fahrzeugen, Land, Gebäude usw. ohne Abschreibungen dar.
2)    Beteiligungen und Kredite sind langfristige Anlagen.
3)    »Zweckgebundene Anlagen« beziehen sich auf den Nahrungsmittelreservefonds und sind in Regierungsanleihen.
4)    »Umlaufvermögen« beinhaltet die Produktenvorräte und kurzfristigen Anlagen.

Der ‚Umweg‘ ist nötig, weil die direkte Förderung von Plantagen von den Geberländern grundsätzlich nicht oder zumindest nicht zu den bei der Entwicklungshilfe günstigen Bedingungen finanziert werden würde. Offiziell soll die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik z.B. hauptsächlich der Befriedigung von Grundbedürfnissen der ärmsten Bevölkerungsschichten dienen, was sie formell tut, wenn sie zur Förderung von Kleinbauernprojekten benutzt wird.

Außerdem bleibt bei der ‚indirekten‘ Finanzierung über die Kleinbauern auch bei diesen etwas ‚hängen‘ und sichert ihre Loyalität gegenüber der Regierung, auch wenn sie eines Großteils ihres Mehrproduktes beim Verkauf ihrer Produkte wieder beraubt werden.
Eine zweite Finanzierungsquelle für die Entwicklung der nationalen Plantagen sind die Geschäftsbanken Malawis, insbesondere die ‚National Bank of Malawi’. Seit der Mitte der siebziger Jahre spielte diese Quelle eine wachsende Rolle.

Während von 1965-72 der durchschnittliche Anteil der Kredite für die Landwirtschaft 13% aller Kredite ausmachte, wuchs dieser Anteil 1973 auf 20%, 1977 auf 35% und 1980 auf 53%. 1980 wurde den landwirtschaftlichen Unternehmen insgesamt K 92 Mio an Krediten gewährt95. (Davon gingen 1979 K 73 Mio an Tabakplantagen96.) Die kommerziellen Banken ihrerseits erhöhten im gleichen Zeitraum (1970 – 80) ihre Auslandsverschuldung um mehr als das Zehnfache (von K 4,5 Mio auf K 55,3 Mio). Der Anteil der Auslandsschulden an den Schulden insgesamt stieg dabei von 11 % auf 21 %97.
Bei der Mobilisierung lokaler Ressourcen spielt die Gruppe der Asiaten eine besondere Rolle, die in dem von ihnen weitgehend monopolisierten Handel ein für malawische Verhältnisse sehr großes Kapital akkumulieren konnten, ohne es im Handel wieder gewinnbringend an legen zu können, was zu einem großen Teil durch Restriktionen seitens der Regierung bedingt ist 98.

Es ist daher zu vermuten, daß ein großer Teil der Einlagen bei den Banken von den asiatischen Händlern stammt. Ein Indiz für diese Vermutung findet sich in der Tabelle 9, die aufzeigt, daß der Groß- und Einzelhandel mit durchschnittlich 25,8% überden Zeitraum 1973- 80 den größten Anteil aller kurzfristigen Einlagen in den Banken hält.

Wenn es stimmt, daß der Großteil der Bankeinlagen von den asiatischen Händlern stammt, dann wird auf diese Weise das akkumulierte Handelskapital, das aufgrund historischer Bedingungen in den ‚falschen‘ Händen liegt, über die Banken an die neu zu schaffenden nationalen (malawischen) Agrarkapitalisten umverteilt.

Wirtschaftlicher Fehlschlag der Plantagenpolitik
Trotz hoher Ausbeutung von Arbeitern und Natur und günstiger Finanzierung waren viele der ‚mit Gewalt’ aus dem Boden gestampften Plantagen nicht in der Lage, so rentabel zu wirtschaften, daß sie die Zinsen für die Bankkredite hätten zahlen können. Stattdessen haben sie sich weiter verschuldet99.
Vor allem die gegen Ende der siebziger Jahre entstandenen Tabakplantagen in der Nordregion Malawis waren von schlechtem Wetter und fallenden Tabakpreisen auf dem Weltmarkt betroffen. Eine ganze Reihe dieser Plantagen wurde zahlungsunfähig und unter die Regie der kreditgebenden Banken gestellt. Außerdem wurden die Anbauflächen z.T. erheblich reduziert.

Tabelle 9
Geschäftsbanken: Sichtguthaben nach Hauptsektoren, 1973 – 1980, in 1 000 Kwacha

Jahr Agricul-

ture

Mining

and

Quarrying

Manufac

turing

Electrici- ty, Water and Gas Construc- tion and Civil Engineering Groß- und Einzel-handel Transport

Storage

and

Communi-

cations

Finance

Insurance

Real

Estate

and

Business

Services

Community, Social and Personal Services Personal

Accounts

Total
1973 3.512 1.116 1.914 66 1.278 6.588 770 2.468 4.415 6.399 28.526
1974 3.477 605 1.672 72 1.620 11.239 1.024 2.447 3.522 7.463 33.141
1975 4.295 36 2.235 50 1.715 8.987 1.309 11.227 5.010 8.880 43.744
1976 4.416 230 2.388 5 2.658 10.203 1.067 3.459 4.959 8.094 37.479
1977 4.104 37 4.309 105 2.122 14.368 966 4.880 4.928 8.121 43.940
1978 3.176 66 4.095 353 4.380 10.766 1.410 4.081 7.825 10.513 46.665
1979 3.679 56 4.254 239 5.710 12.377 1.542 5.256 6.877 10.915 50.905
1980 5.775 49 3.485 170 3.768 12.537 1.847 5.454 7.353 11.842 52.280

Quelle: Reserve Bank of Malawi, Financial and Economic Review, 1982, S. 82

Die Gesamtanbaufläche für Flue-cured-Tabak wurde von 1980 auf 81 um 20%, von 18.721 auf 14.892 ha verringert. Die Produktion dieser Tabaksorte sank im gleichen Zeitraum um 25% (sieheTabelle 10).
Die Politik der forcierten Entwicklung kapitalistischer Plantagen und insbesondere die Politik der Herausbildung einer malawischen Agrarbourgeosie wurde also durch ihre immanenten Widersprüche blockiert. Auch im nationalen Plantagensektor entsteht, wie bei den Kleinbauern, eine zunehmende Segregation, in diesem Fall zwischen einer Handvoll sehr reicher malawischer Großfarmer mit dem Präsidenten an der Spitze und der großen Zahl gescheiterter Vertreter der politisch-administrativen Elite, die den geplanten Sprung nicht schafften.

Tabelle 10
Entwicklung des Tabakanbaus auf Großplantagen, Flue-cured- und Burley-Tabak,
von 1970 bis 1981

Jahr Anbaufläche
in ha
Produktion
in t
Preise $ / kg
F.C.T. % B.T. % F.T.C. % B.T. % F.T.C. B.T.1)
1970 3.955 5.625 4.676 5.674 83,7 62,5
1971 5.802 46 7.327 30 6.409 37 5.665 -0,2 90,7 52,5
1972 7.119 22 6.530 – 11 8.649 35 5.453 – 4 89,1 55,2
1973 7.889 10 6.572 0,6 9.990 15 5.676 4 129,2 80,8
1974 9.490 20 6.810 4 10.521 5 5.336 – 6 148,9 109,4
1975 10.678 12 7.147 5 14.899 41 7.997 50 129,7 93,3
1976 12.954 21 8.736 22 16.170 8 6.599 -17 147,8 103,3
1977 15.318 18 8.661 -0,9 19.585 21 10.170 54 172,1 137,3
1978 17.526 14 10.926 26 20.850 6 10.583 4 171,2 115,7
1979 18.940 8 13.784 26 25.152 21 14.928 41 158,0 107,4
1980 18.721 -1,2 13.802 0,1 26.321 5 16.672 12 100,9 117,7
1981 14.892 – 20 15.989 16 19.717 -25 18.803 13 179,3 231,6

1) F.C.T. = flue-cured tobacco, B.T. = burley tobacco, % = Veränderung gegenüber dem Vorjahr, t = metrische Tonne, t/kg = Tambala (100 Tambala = 1 Kwacha) pro kg.
Quelle: Malawi Statistical Yearbook, 1980, eigene Berechnungen.

 

Landarbeiter im Compound in Nordmalawi

Entwicklung einer malawischen Kleinbourgeoisie

Seit der Unabhängigkeit, insbesondere jedoch in den letzten zehn Jahren, entwickelte sich in Malawi eine wachsende Klasse von kleinen Händlern, ’’Non-resident’-Bauern (d.h. nicht ansässige Bauern), Transportunternehmern und kleinen Warenproduzenten. Diese Klasse entstand als Resultat der Politik der Regierung zur Entwicklung von kapitalistischen Produktions- und Verteilungsverhältnissen in allen gesellschaftlichen Bereichen bei gleichzeitiger schrittweiser Malawisierung dieser Bereiche.

Vor allem die Verdrängung der Asiaten aus Handel und Transportwesen eröffnete ein großes Aktionsfeld für malawische ’Jungunternehmer’. Diese Kleinbourgeoisie ist noch mit allen Merkmalen einer jungen Klasse behaftet: mit einer hohen Rate von Fehlschlägen, Bankrotten und Konzentrationsprozessen, die eine kleine Schicht unter ihnen zu erfolgreichen Kapitalisten macht, während die große Masse der kleinen Händler und Gewerbetreibenden ihre Betriebe nur auf Nebenerwerbsbasis betreiben. Dazu kommt die Konkurrenz sowohl im Handel wie im Transportwesen durch den vom Präsidenten kontrollierten Großkonzern Press (Holdings), der nach der verfügten Beschränkung für die Asiaten im Handelssektor den Großhandel im ländlichen Raum monopolisierte und gleichzeitig in den städtischen Zentren mit einer Supermarktkette den größten Teil vom Handelsvolumen im Bereich der Waren des täglichen Bedarfs für sich reservierte. Auch im Transportwesen hat Press bereits den lukrativen interurbanen Großtransport übernommen, bevor die Asiaten ganz aus diesem Sektor verdrängt wurden und den malawischen Kleintransporteuren eine größere Chance gegeben wurde. Die verdrängten Asiaten fungieren teilweise als Finanziers oder Hintermänner für die neuen malawischen Kleinunternehmer, die oft weder die unternehmerischen Qualifikationen haben, noch den Banken die geforderten Sicherheiten bieten können.
Die Entwicklungsmöglichkeiten dieser neuen Klasse sind also vor allem im Handel und Transportwesen in vielfältiger Weise eingeschränkt.

Auch in der Landwirtschaft gibt es neben und verwoben mit der Schicht bäuerlicher Kleinkapitalisten ein Eindringen der städtischen Kleinbourgeoisie bzw. der neuen städtischen Mittelschichten. Es sind dies vor allem die mittleren Beamten und Angestellten, die sich politisch nicht für Sonderprivilegien qualifizieren, die zur Herausbildung der malawischen Agrarbourgeoisie führten, aber gestützt auf ihr regelmäßiges Einkommen und dadurch abgesicherte Kleinkredite auf einem niedrigeren Niveau als die Großplantagen in die (klein-) kapitalistische Landwirtschaft einstiegen100. Sie benutzen dabei ihre finanziellen Möglichkeiten, um sich, unter Ausnutzung traditioneller Formen der Verehrung des Familien- bzw. Stammesältesten, durch Geschenke bei den Dorfältesten oder Häuptlingen Vergünstigungen bei der Vergabe von Land zu sichern.

Die Bandbreite solcher Engagements reicht dabei von der saisonalen Beschäftigung einer Handvoll Landarbeiter zum Anbau von Mais zur eigenen Konsumtion auf dem elterlichen Stück Land bis hin zum Erwerb von größeren Flächen von Pachtland zum systematischen Anbau von Cash crops und der Beschäftigung eines lokalen ’managers’. In vielen Fällen entstehen auch kleine ’Mischbetriebe’ aus Farm, Einzelhandelsgeschäft und Kleintransportunternehmen, bei denen dann vor allem der Schlüsselfaktor Transport (Belieferung der Farm mit Produktionsmitteln und des Ladens mit Waren, Transport der landwirtschaftlichen Produkte zum Markt) ökonomischer einsetzbar ist.

Die wachsende Landknappheit führte nun gerade in jüngster Zeit dazu, daß viele dieser städtischen ’Nebenerwerbs’-Bauern und auch eine wachsendeZahl ansässiger größerer und großer Bauern, die bislang auf Stammesland gewirtschaftet hatten, das ihnen vom Häuptling zugewiesen wurde, darauf dringen, ihr Land in privatrechtlich abgesichertes Pachtland, sog. ’lease-holdland’, zu verwandeln, um sich einer Landneuaufteilung durch den Häuptling beim Wachstum des Dorfes oder beim Zuzug von Familien aus sehr dicht besiedelten Gebieten zu entziehen. In Gegenden mit hoher Bevölkerungsdichte findet bereits ein regelrechter ’run for land‘ statt101. Diese Tendenz wird langfristig zu einer weiteren Differenzierung der Bauern und zur wachsenden Marginalisierung derer führen, die keine Chance haben, ihr Stück Land in Pachtland umzuwandeln. Viele von ihnen können sich schon heute nicht mehr vom eigenen Land ernähren.

Die Rolle des Staates bei der Entwicklung der Landwirtschaft

Die Untersuchung des Prozesses der Herausbildung kapitalistischer Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft zeigte auf, daß er in hohem Maße von Eingriffen durch den Staat, z.T. vermittelt über halbstaatliche Institutionen oder die Person des Präsidenten, bestimmt ist:

  • die kleinbäuerliche Warenproduktion für den inneren und äußeren Markt wurde durch integrierte Landwirtschaftsprojekte und systematische politische Propaganda forciert,
  • ein erheblicher Teil des kleinbäuerlichen Mehrproduktes wird von der halbstaatlichen Vermarktungsorganistion ADMARC abgeschöpft und für den Aufbau von Industrie und Großplantagen verwandt,
  • die privaten Plantagen des Präsidenten werden in der Propaganda zu Modellen einer modernen Entwicklung in der Landwirtschaft stilisiert,
  • für die Entwicklung kapitalistischer Plantagenbetriebe werden günstige Rahmenbedingungen geschaffen:
    • Vergabe von Bankkrediten ohne die üblichen Sicherheiten und zu günstigen Zinsbedingungen,
    • Vergabe von Pachtland durch den Präsidenten, niedrige Pachtraten,
    • Regulierung der Wanderarbeit entsprechend dem Bedarf der Plantagen an Lohnarbeitern,
    • Drückung der Landarbeiterlöhne,
    • Förderung eines halbstaatlichen Plantagensektors über ADMARC und Press (Holdings),
    • öffentliche Finanzierung und Beteiligungen an privaten Großplantagen (Beispiel Lonrho).

Zur Schaffung der Voraussetzungen der Herausbildung kapitalistischer Verhältnisse in der Landwirtschaft werden also staatliche, d.h. außerökonomische Mittel angewandt. Die prominente Rolle des Staates und halbstaatlicher Institutionen in zentralen Bereichen der malawischen Ökonomie scheint zunächst im Widerspruch zu stehen zur expliziten Politik der Regierung, eine kapitalistische Entwicklung anzustreben, die auf die Privatinitiative setzt und dem Markt die Regulierung der gesellschaftlichen Produktion überläßt.

Doch die “Einmischung des Staates in die ökonomische Entwicklung ist Ausdruck der Un- terentwickeltheit des Kapitalverhältnisses in Malawi. Die Beschäftigung der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung in der Landwirtschaft, die noch ganz wesentlich von der Subsistenzproduktion geprägt ist, bedeutet, daß sich das Kapitalverhältnis erst noch gegenüber diesen ‘vorkapitalistischen’ Produktionsformen durchsetzen muß« 102. »Solange das Kapital schwach ist, sucht es selbst noch nach den Krücken vergangener oder mit seinem Erscheinen vergehender Produktionsweisen.« 103

Das Kapital entstand in Malawi allerdings nicht urwüchsig aus der Entwicklung und Umwälzung seiner traditionellen Produktionsweise, sondern im Ergebnis der Kolonisation durch das kapitalistisch hochentwickelte England104. Bei seiner Entwicklung in der malawischen Gesellschaft greift es daher nicht zurück auf die ‘Krücken’ der traditionellen afrikanischen Produktionsweise, die die materiellen Bedingungen für die Herausbildung des Kapitals aufgrund des geringen Entwicklungsstandes der Produktivkräfte noch gar nicht geschaffen hatte, sondern entleiht sich diese ‘Krücken’ den vorkapitalistischen Produktionsweisen Europas (in deren Schoße sich das Kapital historisch entwickelte). Es ist daher kein Zufall, daß die heutige Entwicklungspolitik Malawis in gewisser Hinsicht der Wirt- schaftspolitik des europäischen Absolutismus ähnelt.

Präsident Banda selbst hat sich Friedrich II. zum Vorbild genommen: »Banda hält seine Landsleute zu harter Arbeit an. Das Wort Disziplin ist ein Schlüsselwort in seinem Vokabular. Er sieht sich als Preuße in Afrika.« 105

Franz Mehring schreibt über die ökonomischen Funktionen des preußischen Staates, in dem die kapitalistische Produktionsweise im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch sehr unterentwickelt war: »…waren die unersättlichen Geldbedürfnisse des Despotismus, seine wachsende Steuerwucht und seine wachsenden Staatsschulden, auch seine Monopol-, Privilegien- und Protektionswirtschaft, nicht zu vergessen die ungezählten Millionen, die die großen Despoten durch den Massenverkauf ihrer Landeskinder an die Kriege des Auslandes lösten, zu Hebeln der kapitalistischen Produktionsweise geworden, der die drakonische Ausrottung des blauen Montags, die summarische Verkürzung der kirchlichen Feiertage, das menschliche Material lieferte, um Muskel und Nerv in heckenden Mehrwert zu verwandeln.« 106 Die Merkmale treffen in geringfügiger Abwandlung auch für die malawische Entwicklungspolitik zu. Übertragen auf die malawischen Verhältnisse entsprechen dabei

  • die ‘Steuerwucht’ der preußischen Despoten der kolonialen Hüttensteuer ebenso wie den heutigen Steuern und vor allem der massiven indirekten ‘Besteuerung‘ der bäuerlichen Warenproduzenten durch ADMARC, durch die Kleinbauern zur Produktion von Cash crops oder zur Lohnarbeit gezwungen werden;
  • die ‘Staatsschulden’ der wachsenden Verschuldung des malawischen Staates und der staatlich kontrollierten Banken zum Zwecke der Finanzierung kapitalistischer Plantagen, Industrien und Repräsentationsbauten der politischen Elite;
  • die ‘Monopolwirtschaft‘ dem Monopol der halbstaatlichen Vermarktungsgesellschaft ADMARC beim Handel mit den Agrarprodukten der Kleinbauern, dem Monopol des Press-Konzerns beim Großhandel in ländlichen Gebieten, dem Monopol vieler Industrieunternehmen, die jeweils einen ganzen Produktionszweig beherrschen;
  • die ‘Privilegienwirtschaft’ der Bevorzugung der politisch-administrativen Elite bei der Vergabe von Plantagenland und günstigen Krediten;
  • der ‘Massenverkauf ihrer Landeskinder an die Kriege des Auslandes’ dem Verschicken malawischer Wanderarbeiter in die Minen und auf die Plantagen Südafrikas und Zimbabwes;
  • die ‘Proletarisierung der Bauern’ in Preußen der Proletarisierung der Kleinbauern in Malawi, die durch Ausplünderung und wachsende Landverknappung zur Lohnarbeit gezwungen werden;
  • die ‘Ausrottung des blauen Montags und die Verkürzung der kirchlichen Feiertage’ der Zerstörung traditioneller Arbeits- und Lebensformen durch die Arbeitsbedingungen auf den Plantagen und in den Industrien.

Wie im alten Preußen wird im heutigen Malawi die »beschleunigte Entwicklung des Kapitals… nicht auf dem sogenannten naturgemäßen Weg, sondern durch staatliche Zwangs- mittel« 107 erreicht 108. Die beschleunigte Entwicklung ist dabei ganz im Interesse der kapitalistischen Metropolen, die sie mit der sog. Entwicklungshilfe fördern, denn Malawi wird als Lieferant von landwirtschaftlichen Rohstoffen und als Abnehmer industrieller Produkte für sie erst dann richtig interessant, wenn ein entwickeltes Kapitalverhältnis in den relevanten Sphären der Wirtschaft nicht nur die Massenproduktion von Rohstoffen ermöglicht, sondern auch die Herausbildung einer nationalen Bourgeoisie, die politisch Malawis Integration in den den Weltmarkt garantiert.

Entwicklung einer ‘effizienten’ Regierungsbürokratie

Die beschleunigte Entwicklung des Kapitals durch staatliche Zwangsmittel prägt auch Form und Umfang der staatlichen Bürokratie. Bedingung einer erfolgreichen Förderung und Gängelung der ökonomischen Entwicklung ist eine ‘funktionierende’ Verwaltung. »Alles läuft auf Effizienz hinaus — das ist das Wichtigste an Malawi. Und wenn der Preis dafür ein Diktator an der Spitze ist, dann ist es die Sache wert.« 109 Die Durchführung von Landwirtschaftsprogrammen z.B. erfordert mehr als nur die Setzung rechtlicher Rahmenbedingungen der landwirtschaftlichen Produktion: umfassende staatliche Investitionen in die Infrastruktur, Ausbildung, Beschäftigung und Betreuung eines Heeres von landwirtschaftlichen Beratern, die übers ganze Land verteilt sind, Planung und Management der integrierten Landwirtschaftsprojekte. In den halbstaatlichen Unternehmen wie ADMARC erweitert sich die Bürokratie in anderer Organisationsform, um direkt in den Produktions- und Verteilungsprozeß einzugreifen. Wie im absolutistischen Preußen schafft hier »eine selbstsichere Bürokratie stellvertretend für eine erst keimhaft vorhandene Bourgeoisie … die Voraussetzungen einer kapitalistischen Gesellschaftsentwicklung« 110.

Die Kennzeichen des preußischen Beamtenstaates wie Regelhaftigkeit und Personenunabhängigkeit in der Amtsführung, Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Gehorsam und abstrakte Rationalität treffen daher auch in einem für afrikanische Verhältnisse sehr großen Maße auf die malawische Bürokratie zu. Das dafür nötige Personal wurde durch langjährige Erfahrung in der britischen Kolonialverwaltung, die in Njassaland schon früh von den Missionen ausgebildete Afrikaner in ihren Dienst nahm, konditioniert. Auch schuf die historische Erfahrung der Wanderarbeit in Südafrika und Rhodesien die noch heute für Malawier typische ‘yes baas’-Haltung111, die sie nicht nur zu loyalen Untertanen, sondern auch zu gehorsamen Staatsdienern macht.

Das politische System Malawis, der ‘Bandaismus’

Die besonderen Bedingungen der ökonomischen Entwicklung Malawis, die Herausbildung kapitalistischer Produktionsverhältnisse vor dem Hintergrund einer kleinbäuerlichen, stark von der Subsistenzwirtschaft geprägten Volkswirtschaft, die Weltmarktabhängigkeit und die Entwicklungshilfe kapitalistischer Länder, prägen das politische System Malawis. Das autokratische Regime des Präsidenten Banda ist die Form, in der die kleine Klasse der Agrarbourgeoisie im Bündnis mit einer politisch-administrativen Elite,

Jeder Malawier muß die Parteikarte der Einheitspartei MCP (Malawi Congress Party) kaufen Kwacha= „Der Tag bricht an“
Khadi la Umembala=Mitgliedskarte Chopereka 50t=Beitrag 50 Tambala (ca.DM 1,25)

„Junge Pioniere“ der Einheitspartei in Malawi-Hauptstütze von Präsident Kamuzu
Banda

die in den halbstaatlichen Unternehmen und in der Regierungsverwaltung gedeiht, über die große Masse der kleinen Bauern und eine wachsende Zahl von Lohnarbeitern in Landwirtschaft und Industrie herrscht.
Dr. Hastings Kamuzu Banda regiert Malawi seit seiner Unabhängigkeit im Jahre 1964. Seit 1971 ist er Präsident auf Lebenszeit und kontrolliert, trotz seines hohen Alters von über 80 Jahren, die Regierungsgeschäfte noch bis ins Detail. Minister werden von ihm bestellt und haben praktisch keinen eigenen politischen Entscheidungsspielraum. Banda selbst hält die Portfolios für das Innen- und Außenressort, Justiz, Landwirtschaft, Bau und Versorgung und Verteidigung.

Das Parlament hat keinen Einfluß auf die wichtigsten Fragen der Innen und Außenpolitik, sondern fungiert als Forum zuröffentlichen Lobpreisung der ‚weisen und vorausschauenden Führung des Präsidenten’ und als Petitionsausschuß in lokalpolitischen Fragen. Dr. Banda beliebt »kraft eigener Autorität Verfügungen zu treffen, so daß demokratische und rechtsstaatliche Institutionen zur Farce werden« . »…von demokratischen Willensbil- dungs- und Entscheidungsprozessen (kann) nicht die Rede sein,« 112

Leitlinie der Propaganda der Malawi Congress Partei sind die sog. ‚vier Eckpfeiler’: Einheit, Loyalität, Disziplin und Gehorsam, die zu allererst auf die Disziplinierung der Bevölkerung zielen und sie politisch völligentmündigen. Die Disziplinierung der Bevölkerung wird begleitet von ständigen Appellen an die Bauern, auf ihren Feldern hart zu arbeiten, um ihrem Führer bei der Entwicklung des Landes zu helfen. Der Präsident, verklärt durch Beinamen wie ‚Ngwazi‘ (Held) (in Regierungskreisen wird von ihm als ‘His Excel lency‘ oder abgekürzt als ‘H.E.’ gesprochen), ist der allein Verantwortliche für jegliche Entwicklung und jeden Fortschritt in Mala wie »Jedermann weiß, daß die Entwicklung ausschließlich dem Präsidenten auf Lebenszeit geschuldet ist«, postulierte das traditionelle Gericht, das den Minister der Südregion Gwanda Chakwamba zu 22 Jahren verurteilte, weil er sich für einen eigenen Beitrag zur Entwicklung loben ließ 113.

Das autokratische Regime Bandas trägt durchaus Züge einer afrikanischen Form des Absolutismus. Wie der europäische Absolutismus ist er geprägt vom Umbruch sozio- ökonomischer Verhältnisse: dem Verfall der traditionellen Produktions- und Sozialstrukturen und der Herausbildung einer nationalen Bourgeoisie in Konkurrenz zur nachkolonialen ausländischen Bourgeoisie. Das Regime ist durch eine maximale politische Zentralisierung und die uneingeschränkte Entscheidungsgewalt des Präsidenten charakterisiert. Der ‘Bandaismus’ ist eine im Interesse der aufstrebenden nationalen Bourgeoisie ausgeübte Diktatur, ohne daß Vertreter dieser Bourgeoisie an der Regierungsgewalt beteiligt wären. Wohl und Wehe der z.T. erst kürzlich geschaffenen malawischen Bourgeoisie sind vielmehr abhängig vom Wohlwollen des Präsidenten, der von heute auf morgen Politiker und Staatsdiener entlassen und damit auch ihrer ökonomischen Privilegien berauben kann 114.
So ist es nicht zufällig, daß Präsident Banda ein großer Verehrer des Preußenkönigs Friedrich des II. und besonders beeindruckt von preußischer Zucht und Ordnung und dem preußischen Beamtenstaat ist 115.

Der Aufstieg Dr. Bandas zur Alleinherrschaft

Dr. Banda konnte seine unangefochtene Führungsstellung erringen, nachdem er sich 1964, kurz nach dem Erreichen der Unabhängigkeit während der sog. Kabinettskrise, gegenüber der Mehrheit seiner Minister durchsetzte, die eine schnellere Afrikanisierung der Regierungsverwaltung und eine freie Gesundheitsversorgung forderten und für eine größere politische Distanz zu Südafrika und die damals noch portugiesischen Kolonien eintraten, von denen Malawi ökonomisch und infrastrukturell stark abhängig war und ist.
Sechs Minister wurden entlassen und mußten ins Ausland fliehen. Hunderte von Sympathisanten der entlassenen Minister wurden verhaftet oder ins Exil getrieben.

Banda konnte sich in dieser Auseinandersetzung auf die vielen noch im Lande verbliebenen englischen Kolonialbeamten und auf die englisch geführte Armee und Polizei stützen. Für den einfachen Bauern waren außerdem die politischen Differenzen, die der Auseinandersetzung zugrunde lagen, unmittelbar nur von geringer Bedeutung. So konnte Banda sein Ansehen als ‘Ngwazi’, der die Föderation mit Südrhodesien zerstört und die Unabhängigkeit von England erkämpft hatte, nutzen, um politisch gestärkt aus der Krise hervorzugehen.

Anfang 1965 versuchte Chipembere, einer der entlassenen Minister, in seinem Heimatdistrikt Mangochi einen Aufstand, der aber von Regierungstruppen niedergeschlagen wurde. Es folgte die erste große Verhaftungswelle von vermeintlichen und wirklichen Anhängern der ‘Rebellen’, wie Banda die Exilminister nannte. Todesurteile wurden vollstreckt.

Zugleich erließ Banda die ‘Public Security Regulations’, eine Art Vorbeugehaftgesetz, nach dem Mißliebige ohne Anklage und Urteil festgenommen und interniert werden konnten. Bis 1977 waren in Malawi bis 2.000 politische Gefangene ohne Anklage und Urteil in Haft. Viele von ihnen wurden freigelassen, nachdem der damalige Innenminister Mwalo und der Chef der Geheimpolizei, die für zahlreiche Willkürmaßnahmen verantwortlich gemacht wurden, verurteilt und gehängt worden waren116.
»Bei der Verfolgung politischer Gegner stützt sich Bandabesondersauf die jungen Pioniere, die Jugendorganisation der Einheitspartei, die als persönliches Einsatzkommando des Präsidenten größere Kompetenzen erhalten (hat) als die Polizei.«11? Die Geheimpolizei und ein dichtes Netz von Spitzeln sorgen dafür, daß es zu keiner organisierten Opposition innerhalb Malawis kommt. Presse und Rundfunk stehen unter der Kontrolle des Präsidenten und Informationen über die innenpolitische Entwicklung dringen nur über ‘Umwege’ nach außen.

Die Entwicklung der politischen Widersprüche im heutigen Malawi

Die »immer unkontrollierteren Formen polizeistaatlicher Willkür« des Bandaregimes sind nun nicht nur Ergebnis eines »unerwartet großen Machtinstinkts«118 des Präsidenten, sondern die besondere politische Ausprägung der Anwendung der ‘staatlichen Zwangsmittel’ bei der beschleunigten Entwicklung des Kapitals in Malawi. Diese Entwicklung ist gekennzeichnet durch die systematische Bereicherung einer kleinen Gruppe malawischer Agrarkapitalisten und das ungehinderte Agieren des ausländischen Kapitals auf Kosten der Masse der Kleinbauern und der Arbeiter in Landwirtschaft und Industrie.

Der latent vorhandene Widerstand gegen Banda findet sich jedoch weniger bei der Masse der kleinen Bauern, denen es nicht nur an dem nötigen politischen Bewußtsein fehlt, sondern die u.a. auch durch die Politik der Landwirtschaftsentwicklung und die entsprechende  Propaganda von Partei und Regierung zu loyalen Untertanen erzogen wurden und werden.

Die politische Opposition innerhalb Malawis kommt vielmehr von Teilen der städtischen Mittelschichten und von politischen Rivalen. Die städtischen Mittelschichten —  einfache Regierungsbeamte, Lehrer, Intellektuelle, Angestellte in Industrie und privater Verwaltung — lehnen aufgrund ihrer Bildung und z.T. beeinflußt durch Studienaufenthalte im Ausland den Despotismus Bandas mit all seinen ‘Irrationalitäten’ ab und wünschen allgemein eine Demokratisierung politischer Entscheidungen, insbesondere ihre eigene Partizipation am politischen Geschehen. Sie sind zum großen Teil die erste ‘städtische Generation’, die ihre Jugend noch im Dorf verbrachte und deren Eltern oft noch immer unter einfachsten Verhältnissen als kleine Bauern leben. Der Vergleich dieser Verhältnisse, denen sie noch so nahe sind, mit der Korruptheit der politisch-administrativen Elite, die sie leichter durchschauen können als die Bauern in der Dörfern, bildet bei vielen von ihnen die Grundlage für eine latente Opposition.

Opposition gegen Banda kommt aber auch von politischen Rivalen, die an den Quellen des Reichtums der herrschenden Clique partizipieren wollen. Zu ihnen gehört der ehemalige Innenminister Mwalo, der 1977 wegen angeblichen Hochverrats zum Tode verurteilt wurde. Das Ausmaß von Bandas Angst vor möglichen Rivalen zeigt sich auch darin, daß er konsequent jeden Politiker, der größeren Einfluß, womöglich noch gestützt auf Popularität in der Bevölkerung, erlangt, seines Amtes enthebt, ins Gefängnis bringt oder sogar beseitigen läßt. Allein in den letzten Jahren geschah dies mit:

  • Aleke Banda, ehemals Minister und später Manager des Press-Konzerns, heute unter Hausarrest;
  • Gwanda Chakwamba, ehemals Minister für Jugend und Kultur und zugleich Minister der Südregion, 1981 zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt wegen ‘Anstiftung zum Umsturz’;
  • Muluzi, ehemaliger Generalsekretär der Partei, 1982 ohne Begründung abgesetzt, heute ohne Funktion;
  • Dick Matenje, der Nachfolger von Muluzi als Generalsekretär der Partei, Aaron Gada- ma, Minister der Zentralregion, Sangala, Gesundheitsminister und Chiwanga, Parlamentsabgeordneter, kamen im Mai 1983 bei einem mysteriösen ‘Autounfall’ zu Tode.

Neben der latenten und noch unorganisierten Opposition innerhalb des Landes gibt es eine Reihe oppositioneller Gruppen im Exil, in denen sich u.a. die vertriebenen Minister, Politiker und Intellektuellen nach 1964 organisierten. Es sind dies die Sozialistische Liga Ma- tawis (LESOMA), die Malawische Freiheitsbewegung(MAFREMO) des ehemaligen Justizministers Orton Chirwa und der Kongreß für die Zweite Republik (CSR) des ehemaligen Außenministers  Kanyama Chiume.

Nach den erfolglosen Versuchen von Chipembere und Chisiza, das Regime Bandas mit militärischer Gewalt zu stürzen, war die vom Ausland aus operierende Oppositionsbewegung für viele Jahre demoralisiert und gespalten. Die Gründung der LESOMA 1975 mar- kierte den Neubeginn einer organisierten politischen Opposition sowohl innerhalb wie außerhalb Malawis.
Das politische Programm von LESOMA sieht als unmittelbare Ziele:

  • die Ablösung der Diktatur Bandas durch eine demokratische Regierung,
  • die Garantie freier Wahlen und der Rede- und Versammlungsfreiheit,
  • die Beendigung der Abhängigkeit Malawis vom ausländischen Kapital,
  • den Aufbau wahrhaft nationaler staatlicher Betriebe in den Schlüsselzweigen und
  • die genossenschaftliche Organisation der Kleinbauern und des ländlichen Kleingewerbes.

Langfristig geht es LESOMA darum, den Weg zum Sozialismus vorzubereiten. Zur Erreichung dieser Ziele strebt LESOMA an, eine breite Front aller demokratischen, antiimperialistischen und fortschrittlichen Kräfte zu organisieren.
LESOMA hat in den letzten Jahren in Malawi im Untergrund arbeitende Zellen aufgebaut, in denen nach ihren Angaben 15 000 Malawier organisiert sind. Diese Zahl erscheint reichlich hoch, und es ist schwierig, den Einfluß LESOMAs innerhalb des Landes genauer abzuschätzen , da jegliche offene Parteiarbeit unmöglich ist. 1981, nachdem LESOMA die Gründung einer militärischen Abteilung angekündigt hatte, tauchten in Malawi in größerem Umfang Flugblätter und Pamphlete der Partei auf, und eine ganze Reihe von LESOMA- Leuten wurde interniert, ohne daß die malawische Regierung Zahlen oder Namen genannt hätte.

In jedem Fall stellt LESOMA eine wesentliche Bedrohung für Präsident Banda dar, was indirekt an den immer wiederkehrenden Appellen an die Wachsamkeit der Bevölkerung gegenüber ’subversiven Elementen’ zum Ausdruck kommt, die sich explizit gegen LESOMA richten. Banda verfolgt die Führer von LESOMA selbst außerhalb des Landes. 1979 rühmte sich Banda, gegen den Vorsitzenden Attati Mpakati einen erfolgreichen Anschlag mit einer Briefbombe verübt zu haben, bei dem Mpakati die Finger beider Hände verlor. Im März 1983 wurde Mpakati in Harare von unbekannten Tätern, vermutlich malawischen Sicherheitsbeamten, ermordet. LESOMA hatte seit der Unabhängigkeit Zimbabwes offensichtlich mit Erfolg begonnen, dort lebende Malawier — sie werden auf mehrere hunderttausend geschätzt — zu werben und zu organisieren. Angeblich soll es in Zimbabwe inzwischen 250 LESOMA-Zellen geben.

Das Attentat an Mpakati ist sicher u.a. auch im Zusammenhang mit dem sich ausdehnenden Einfluß von LESOMA zu sehen. Viele Führer von LESOMA wurden in sozialistischen Ländern ausgebildet. Mpakati z.B. studierte in der UdSSR Ökonomie. Mitglieder von LESOMA erhalten Stipendien von sozialistischen Ländern, doch eine direkte materielle oder finanzielle Unterstützung erhält LESOMA von diesen Ländern nach eigenen Angaben nicht. In England hat sich 1979 auf Initiative von Mitgliedern der Labour Party und der Gewerkschaften ein ’Unterstützungsko- mitee für Malawi’ gebildet, das auch LESOMA politisch unterstützt.

Sowohl die Malawische Freiheitsbewegung (MAFREMO) als auch der Kongreß für die Zweite Republik (CSR), die beide 1976 gegründet wurden, sind in gewisserWeise eine Reaktion auf die zuvor erfolgte Gründung von LESOMA. Beide Organisationen sind vor allem Ausdruck der Führungsansprüche ihrer Vorsitzenden Orton Chirwa und Kanyama Chiu- me innerhalb der malawischen Oppositionsbewegung, den sie innerhalb der sozialistisch orientierten LESOMA nicht wahrnehmen wollten oder konnten. Beide sind eher kleine Organisationen, von denen lediglich MAFREMO einen gewissen Einfluß innerhalb Malawis ausübt.

Der in England ausgebildete Orton Chirwa gehört zur alten Garde malawischer Politiker. Er gründete 1959 die Malawi Congress Party, als Dr. Banda in Gefangenschaft der englischen Kolonialregierung war. Er gehörte dem ersten Kabinett der Regierung Banda als Justizminister  an und verließ Malawi nach der Kabinettskrise zusammen mit den anderen Ministern, die ins Exil fliehen mußten.

Die Ziele von MAFREMO sind, die Diktatur Bandas zu stürzen und in Malawi ‘Demokratie, Gerechtigkeit und Freiheit’ wiederherzustellen. Sie will alle Gruppen der malawischen Gesellschaft vereinen, um den Entwicklungsprozeß des Landes zu erleichtern. Bewaffnete Guerillaaktionen lehnt sie im Gegensatz zu LESOMA grundsätzlich ab. Auch MAFREMO erklärt, daß sie Mitglieder in Malawi hat, die im Untergrund arbeiten.

Im Dezember 1981 wurde Orton Chirwa, zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn, im Grenzgebiet zwischen Malawi und Sambia von der malawischen Polizei verhaftet. Bis heute ist nicht geklärt, ob sie von sambischem Boden nach Malawi entführt wurden oder ob Chirwa in eine Falle gelockt wurde119.

Während des elfmonatigen Prozesses, über den die malawische Presse in ungewöhnlicher Ausführlichkeit berichtete, gab es immer wieder offene Sympathieäußerungen für die Chirwas von malawischen Jugendlichen, die zu hunderten den öffentlich stattfindenden Prozeß besuchten. Viele von ihnen wurden deshalb von der Polizei verhaftet und interniert. Im Mai 1983 verurteilte das Gericht Chirwa und seine Frau, die als Schatzmeisterin der Führung von MAFREMO angehört, wegen Hochverrats zum Tode. Ihnen wurde vorgeworfen, den Sturz der Regierung und die Ermordung des Präsidenten geplant zu haben. Die Chirwas haben Berufung gegen das Urteil eingelegt. Im Juli 1984 wurde es vom Präsidenten persönlich in lebenslängliche Haft umgewandelt.
Der Kongreß für die Zweite Republik (CSR) des Kanyama Chiume hat, soweit bekannt, praktisch keinen Einfluß innerhalb Malawis. Im März 1982 und im März 1984 wurde berichtet, daß sich Mitglieder der in Zimbabwe operierenden Sektion des CSR der LESOMA angeschlossen haben, weil sie mit der Politik Chiumes unzufrieden waren. Chiume wird von den anderen Oppositionsgruppen vorgeworfen, wesentlich zur Spaltung der alten Garde der malawischen Opposition, insbesondere zwischen Chipembere und Chisiza, beigetragen zu haben.

LESOMA als politische Organisation und Orton Chirwa als Politikerpersönlichkeit mit immer noch großem Ansehen in Malawi sind also die Kräfte, die nach Bandas Tod oder Abtritt von der politischen Bühne die Auseinandersetzung um die Macht und die zukünftige politische Entwicklung mit beeinflussen werden120. Im Moment jedoch haben Banda und seine Sicherheitsorgane noch weitgehende Kontrolle über die von außen nach Malawi hineinwirkenden Einflüsse.

Die Frauenpolitik – Dr. Bandas spezielle Methode zur Sicherung seiner Herrschaft

Bei all dem schwelenden Widerstand in Malawi und organisierter Opposition aus dem Ausland darf man jedoch nicht übersehen, daß Präsident Banda bis in die jüngste Zeit bei einem Großteil der malawischen Bevölkerung Unterstützung fand, wenn auch das Todes- urteil für die Chirwas und die Ermordung der drei Minister im Mai 1983 Bandas Stellung zum ersten Mal in größerem Maße erschüttert zu haben scheinen.

Die Unterstützung für Banda erklärt z.T. auch die Masse von uniformierten Frauen, die ihrem Präsidenten zujubeln, wo immer er sich in der malawischen Öffentlichkeit sehen läßt. Diese von Partei und Regierung wohl organisierte und aus der Staatskasse reichlich finanzierte ‚Show’ ist jedoch nicht die spontane Begeisterung der Massen für ihren Führer, auf die sich die westlichen Freunde der Regierung Banda gern berufen, wenn sie Malawi als Muster-Entwicklungsland preisen, sondern Ergebnis einer sehr raffinierten Methode des Präsidenten zur Umfunktionierung traditioneller Bräuche der malawischen Gesellschaft in Mittel der Herrschaftssicherung. Diese Methode ist bekannt als ‚Mbumba-Politik‘ und funktioniert so:
Die immer noch starke Prägung der malawischen Gesellschaft durch Formen der Subsistenzwirtschaft bedingt das Fortbestehen traditioneller Formen des sozialen und politischen Lebens. Der Großteil des landwirtschaftlichen Bodens ist nicht Privateigentum im westlichen Sinne, sondern Stammeseigentum und wird von den Häuptlingen an die Mitglieder des Stammes vergeben. Ganz besonders lebendig sind traditionelle Formen des sozialen Lebens in der malawischen Familie121, ihren internen Beziehungen und Bräuchen. Zu ihnen gehört die ‚Institution’ des sog. ’Nkoswe’.

Der Nkoswe ist die Vertrauensperson, an die sich die Frau (in diesem Verhältnis ‘Mbumba’ genannt) wendet, wenn sie Probleme mit ihrem Mann oder der Familie hat. Meist ist das der Bruder oder der Onkel mütterlicherseits. Präsident Banda hat sich nun die Rolle des Nkoswe der Nation (’Nkoswe number one’), des universellen Beschützers aller Frauen, gegeben. In dieser Rolle erhebt er den Anspruch, sich in besonderer Weise um die Rechte und Belange der Frauen zu kümmern. In geschickter weise knüpft er damit auch an die wichtige Rolle an, die die Frauen in der traditionellen afrikanischen Agrargesellschaft spielten und auch heute noch spielen (und von der noch Reste mutterrechtlicher Verhältnisse im Süden Malawis zeugen), die jedoch durch die Wirkungen der kolonialen Herrschaft in vielfältiger Weise eingeschränkt wurde. Banda, als Nkoswe ’seiner‘ Mbumba, gibt vor, ihnen ihren traditionellen Status zurückzugeben. Dies geschieht jedoch in einer sehr eigenartigen Form: als Ausdruck seiner ‚besonderen Fürsorge’ ließ er z.B. zwischen 1977 und 1981 in allen Distrikthauptstädten Häuser für Funktionärinnen der Frauenliga der Malawi Congress Party bauen. Für malawische Verhältnisse haben diese Häuser, großzügig gebaut und mit Stromanschluß, den Standard von Luxusvillen. Bezahlt wurden sie, wie immer betont wird, aus der Privatkasse des Präsidenten. Woher sich diese füllt, wurde schon eingehender beschrieben.

Größere Breitenwirksamkeit haben Aktionen wie die Einladungen von hunderten von Frauen (Mitgliedern der Frauenliga) in den Palast des Präsidenten in Blantyre, wo sie dann von ‚ihrem‘ Nkoswe verköstigt und beschenkt werden. Nach den letzten Parlamentswahlen wiederum nutzte er seine präsidiale Macht zur Ernennung von Parlamentsabgeordneten dazu, zusätzlich zu den hundert gewählten, überwiegend männlichen Abgeordneten, 24 weibliche Abgeordnete (für jeden Distrikt eine) zu ernennen, um das Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen zu kompensieren. Die Frauen erwiesen sich seither als die besten Lobredner für den Präsidenten.

Die andere Seite der Mbumba-Politik Bandas sind die Massenveranstaltungen aus Anlaß von Staatsfeiern, Reisen des Präsidenten oder anderen Gelegenheiten, die die Form grandioser ’Danksagungsfeste’ der Mbumbas für ihren Nkoswe annehmen. Zu traditioneller Musik tanzen dort eine Vielzahl von Frauengruppen aus allen Teilen der jeweils umliegenden Distrikte, aus denen sie mit Lastwagen herangeschafft werden, und singen Lobesund Verherrlichungslieder auf den ’Ngwazi’ (den starken Führer). Auch hier werden traditionelle Bräuche des Tanzes, der Musik und der Feste aufgegriffen (die Melodien zu den Lobeshymnen sind oft von alten bekannten Volksliedern übernommen) und zu Manifestationen der Loyalitätsbekundung umfunktioniert und pervertiert. Die Frauen tragen bei diesen Veranstaltungen nicht ihre traditionelle, bunte und abwechslungsreiche Kleidung, sondern eine Partei uniform, die mit den staatlichen Symbolen Malawis, vor allem aber mit dem Konterfei des Präsidenten geschmückt ist.
Mit der ‚Mbumba-Politik‘ greift also auch die politische Herrschaft, solange sie noch schwach ist und sich nicht auf die Klasse stützen kann, deren Entwicklung sie zum Ziel hat, zu den ideologischen und kulturellen ‚Krücken‘ vergangener und mit ihrem Erscheinen vergehender Herrschaftsformen.

Foto

Massenveranstaltung anläßlich der ‘Jugendwoche’ in Lilongwe
Oben: Selbstdarstellung des ‘Ngwazi’ (Plakat an einem Regierungshotel)
Unten: Banda ist allgegenwärtig: Das Konterfei des Präsidenten schmückt die Kleidung der Frauen

Malawis Rolle im Südlichen Afrika

Malawi spielte seit seiner Unabhängigkeit eine Sonderrolle im Südlichen Afrika, die sich nicht nur in seiner strikten antikommunistischen Haltung ausdrückt, sondern vor allem in seiner Bereitschaft zur offenen Zusammenarbeit mit dem Apartheidregime Südafrikas, mit dem es als einziges schwarzafrikanisches Land diplomatische Beziehungen unterhält. Malawi hatte sich mit dieser Politik sowohl von seinen unmittelbaren Nachbarn als auch von den meisten in der OAU zusammengeschlossenen Ländern politisch isoliert.
Die mit der Unabhängigkeit Mosambiks und Zimbabwes veränderten Rahmenbedingungen und der sich verschärfende Konflikt zwischen Südafrika und seinen Nachbarn erlaubten Malawi inzwischen, seine regionale Isolation teilweise zu überwinden. Im Rahmen der Konferenz zur Koordinierung der Entwicklung im Südlichen Afrika (SADCC) kooperiert Malawi mit Ländern wie Tansania, Mosambik und Sambia, zu denen bislang eher frostige Beziehungen herrschten.

Malawis ökonomische Abhängigkeit vom Ausland
Als Malawi 1964 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, war es nicht nur zur Finanzierung seines Budgets weiterhin auf die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien angewiesen, sondern auch auf vielfältige Weise in den von Südafrika, Rhodesien und Portugiesisch- Mosambik geprägten Wirtschaftsraum integriert und dadurch auch in starkem Maße von diesen Ländern abhängig.
Im ersten Jahr seiner Unabhängigkeit hatte Malawi ein Budgetdefizit von 4,26 Mio Pfund, etwa ein Drittel aller geplanten Ausgaben, das von den Briten mit einem Zuschuß ausgeglichen werden mußte122. Noch bis 1972 war Malawi auf britische Budgetzuschüsse angewiesen. Insgesamt wurden knapp 1/3 aller laufenden und Entwicklungsausgaben zwischen 1964 und 1969 von Großbritannien bestritten, nicht eingeschlossen die Kredite der Commonwealth Development Corporation für spezielle Investitionsprojekte123. Ohne Gefahr zu laufen, diese für die Anfangsjahre überlebenswichtigen Zuschüsse zu verlieren, konnte Malawi keine von den Interessen der Briten erheblich abweichende Innen- oder Außenpolitik entwickeln. Im Rhodesienkonflikt vertrat Dr. Banda denn auch ohne Vorbehalte die Position Großbritanniens innerhalb der OAU. Später unterstützte Banda den Plan Großbritanniens, Waffen an Südafrika zu liefern, und demonstrierte damit nicht nur seine Loyalität gegenüber den Briten, sondern auch seine besondere Einschätzung von Pretorias angeblicher Friedfertigkeit124.
Malawis Abhängigkeit von Großbritannien ist sicher nicht alleinige Ursache für Präsident Bandas Südafarikafreundlichkeit und kompromißlosen Antikommunismus, doch sie ist sicher eine der wesentlichen Rahmenbedingungen, unter denen sich Malawis außenpolitische Linie nach der Unabhängigkeit, auch in Konkurrenz zu seinen mehr sozialistisch orientierten Nachbarn Tansania und Sambia, entwickelte.
Diezweite wesentliche Rahmenbedingung seiner Außenpolitik wurde durch Malawis Wirtschaftliche und infrastrukturelle Bindungen an den Süden gesetzt. Malawis Zugang zum Meer und einzige Eisenbahnexportroute führte durch das von Portugal abhängige Mosambik nach Beira. Die übrigen Exportrouten führten ebenfalls durch Mosambik bzw. durch Rhodesien und Südafrika.

Abb. 10:

Die SADCC-Staaten mit den wichtigsten Bahnlinien und Häfen

Zwischen 200 000 und 300 000 malawische Wanderarbeiter waren in Rhodesien und Südafrika beschäftigt, doppelt so viel, wie im Lande selbst als Arbeiter (im formellen Sektor) beschäftigt waren. Von Rhodesien bezog Malawi 1964 40% aller Importe. Diese einseitige Importabhängigkeit reduzierte sich zwar in den folgenden Jahren (siehe Tabelle 11), insbesondere nach der Schaffung eigener importsubstituierender Industrien (z.B. für die Zuckerproduktion), doch blieb sie immer noch stark genug, um Malawi von Maßnahmen gegen Rhodesien abzuhalten, wie sie von der UNO nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung der Smith-Regierung (UDI) beschlossen und z.B. von Sambia auch durchgeführt wurden.

Für Malawis regionale Außenpolitik bestand in dieser Situation die Alternative, die vielfältigen Bindungen an den Süden unter relativ hohen Verlusten zu reduzieren, um sich langfristig ökonomisch wie politisch von den kolonialen und Siedlerregimen unabhängig zu machen, oder aber die vorhandenen Bindungen zu sichern, um kurzfristig günstige Voraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung zu schaffen. Wie groß Malawis Spielraum wirklich war, ist angesichts seiner kargen Ressourcenbasis, seiner Unterentwickelt- heit und noch lange währender Abhängigkeit von Großbritannien nachträglich schwer abzuschätzen. Doch Banda hat noch nicht einmal den Versuch gemacht, mögliche Spielräume für mehr Unabhängigkeit gegenüber dem Süden zu nutzen, sondern hat ganz zielstrebig die Bindungen, insbesondere zu Südafrika, gefestigt und in einem Maße formalisiert, daß Malawi in außenpolitischer Hinsicht die Rolle des Vorpostens Pretorias in Schwarzafrika übernimmt (Kritiker von Malawis außenpolitischer Haltung sprechen deshalb auch mit direktem Bezug auf Südafrikas ’Bantustan-Politik’ vom ‚Bandastan‘).
Der tansanische Minister für Information und Tourismus kritisierte die Politik Malawis gegen über Südafrika aus der Sicht der mit den Unabhängigkeitsbewegungen solidarischen Länder Afrikas folgendermaßen: »Was wir weder verstehen noch verzeihen können, sind Handlungen, die eine Verstärkung und Erweiterung solcher Bindungen (an den Süden) bewirken, wo ihre schrittweise Abschwächung sowohl möglich wie auch im Einklang mit dem Zweck der Unabhängigkeitsbewegungen wäre.«125

Malawis besondere Beziehungen zu Südafrika

1967, drei Jahre nach seiner Unabhängigkeit, Unterzeichnete Malawi ein Handelsabkommen mit Südafrika, nach dem Südafrika unverarbeiteten Tabak, Öle, Tee und Baumwollabfälle zollfrei importieren konnte, während südafrikanische Produkte mit Vorzugstarifen nach Malawi gelangten. In der Folge haben sich die Importe aus Südafrika sprunghaft erhöht und machten 1979 über 40% aller Einfuhren nach Malawi aus (siehe Tabelle 11). Gleichzeitig ermunterte die Regierung Banda südafrikanische Firmen, in Malawi zu investieren. (Heute ist südafrikanisches Kapital u.a. im Bau-und Versicherungswesen und in der Düngemittelproduktion engagiert126.)

Malawi begab sich auf diese Weise freiwillig in eine weitreichende strukturelle Abhängigkeit von Südafrika. Das klassische koloniale Prinzip des Ressourcentransfers — Export unverarbeiteter landwirtschaftlicher Rohstoffe, Import industrieller Fertigwaren und Investitionsgüter — wurde auf regionaler Ebene im Verhältnis zum vergleichsweise hochindustrialisierten Südafrika reproduziert.
Die zunehmende Öffnung Malawis für Waren und Kapital aus Südafrika wurde 1971 mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen politisch besiegelt. Malawi ist damit das einzige Land in Schwarzafrika, das diplomatische Beziehungen zu Pretoria unterhält.

Tabelle 11

Der Außenhandel der Republik Malawi 1970, 1975 – 1979

1970 1975 1976 1977 1978 1979 1979
% in Mio. US $ %
Einfuhr 100,0 250,5 205,6 232,4 338,2 397,6 100,0
Ausfuhr 139,1 154,0 190,8 177,1 216,2
Einfuhrüberschuß 111,4 51,6 41,6 161,1 181,4
Einfuhr aus wichtigen Herstellerländern
EG-Länder 88,1 69,8 74,1 102,0 117,1
Bundesrepublik Deutschland 3,7 10,0 7,6 9,0 10,8 21,0 5,2
Großbritannien

und Nordirland

26,0 60,6 46,1 43,4 67,4 73,8 18,4
Niederlande 1,0 5,4 9,1 8,7 6,7 5,3 1,3
Frankreich 1,3 2,7 2,4 3,0 5,8 6,1 1,5
Italien 3,6 1,5 4,3 5,7 4,8 1,2
Vereinigte Staaten 5,0 9,4 7,0 11,6 15,7 12,8 3,2
Kanada 3,5 9,5 2,0 9,2 2,6 0,6
Südafrika 12,0 61,4 60,4 86,4 130,0 165,0 41,5
Zimbabwe 20,0 29,6 10,1 6,3 7,1 5,9 1,4
Japan 5,0 18,5 15,8 20,4 34,2 37,7 9,5
Indien 4,0 2,0 3,4 4,9 6,5 1,6

Erhebungsgebiet: Staatsgebiet (ehem. Njassaland); Darstellungsform: Generalhandel; Länderangaben: Einfuhr: Herstellerland, Ausfuhr: Verbrauchsland (country of last consignment); Wertangaben: Einfuhr: cif, Ausfuhr: fob.
Nichtamtliche Angaben für 1980: 439,0 Mio. US $ (Einfuhr), 295,0 Mio. US $ (Ausfuhr).
Quelle: Statistik des Auslandes, Länderkurzbericht Malawi 1982, Zahlen für 1970: Eigene Berechnungen auf Basis von Malawi Statistical Yearbook 1980, S. 144 1979 Prozentangaben: eigene Berechnung.

Diese weitgehende ökonomische und politische Kollaboration mit Südafrika ist nicht allein damit zu erklären, daß Malawi seinen Zugang zum Meer, die Jobs der Wanderarbeiter und den Bezug bestimmter Waren sichern wollte. Immerhin gibt es Länder wie Botswana oder besonders das ganz von Südafrika umgebene Lesotho, die sehr viel stärker von Südafrika abhängig sind, ohne so weitgehende politische Zugeständnisse zu machen, wie Malawi dies tat. Ganz allgemein ging es Präsident Banda um die Sicherung und den Ausbau der nach Süden orientierten wirtschaftlichen und infrastrukturellen Verflechtungen als Voraussetzung für eine rasche Entwicklung der exportorientierten Agrarproduktion. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die von Banda geplante Eisenbahnverbindung zum mosambikanischen Hafen Nacala als alternativer direkter Exportroute zu der bisher einzigen nach Beira (ebenfalls in Mosambik). (Die Alternative, den Norden Malawis über den Malawi-See mit dem südtansanischen Hafen Mtwara zu verbinden, hatte Banda verworfen, nicht zuletzt wegen der politischen Divergenzen mit der tansanischen Regierung.) Zur Realisierung dieses Plans brauchte Banda nicht nur die Zustimmung Portugals, sondern auch Finanzierungshilfe, die in dieser Situation nur von Südafrika kommen konnte, da keine Entwicklungshilfeorganisation bereit gewesen wäre, eine Verkehrsverbindung durch das von Portugal abhängige Mosambik zu fördern.

Daneben hatte Banda den Plan, die Hauptstadt von Zomba nach Lilongwe zu verlegen und damit bessere Voraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung der Zentralregion — der Heimat der Chewa, der größten ethnischen Gruppe Malawis, der auch Banda angehört — zu schaffen. Auch für dieses Projekt war er auf südafrikanische Hilfe angewiesen. Für den Bau der Eisenbahnlinie nach Nacala erhielt Malawi 1969 einen Kredit über 11 Mio. Rand mit der Auflage, soweit wie möglich Materialien aus Südafrika zu verwenden. Für die Verlegung der Hauptstadt nach Lilongwe bekam Malawi weitere 8 Mio Rand. Infolge dieser Kredite hielt Südafrika 1970 18% der Schulden Malawis127.

Von einer Integration Malawis in ein mit dem Süden verbundenes Transportsystem versprach sich Banda Gewinne aus gesteigertem Transitverkehr aus Sambia und Mosambik.

Der Ausbau wirtschaftlicher Beziehungen und weitgehende politische Zugeständnisse waren das Unterpfand für südafrikanische Hilfe für Projekte, die der unmittelbaren ökonomischen und politischen Sicherung des Regimes von Präsident Banda dienten. Malawis Öffnung gegenüber Südafrika ist von daher keine Einbahnstraße, von der nur das Regime in Pretoria profitiert. Deutlich wird das auch an der Entwicklung der Wanderarbeit128.

Zur Zeit der Unabhängigkeit arbeiteten 266 000 Malawier als Wanderarbeiter in Südafrika, Südrhodesien oder Sambia129. Danach stieg diese Zahl auf fast 488 000 im Jahre 1972. D.h. 10,3% von Malawis Bevölkerung befand sich damals im Ausland.
Davon waren mindestens 124 000 in den Minen Südafrikas beschäftigt. Nach 1974, als Banda das Flugzeugunglück von Francistown, bei dem 74 malawische Wanderarbeiter umkamen, zum Anlaß nahm, die Kontraktarbeit zu verbieten, änderte sich die Situation schlagartig. Zwischen 1966 und 1977, insbesondere jedoch nach 1972, kehrten rund 330 000 Malawier in ihre Heimat zurück. Während Malawi in den sechziger Jahren Arbeitskräfte ‘exportierte’, war es in den siebziger Jahren ‘Nettoimporteur’ von Arbeitskraft. Nach 1977 wurde zwar die Kontraktarbeit wieder zugelassen, doch gingen jetzt kaum noch 20 000 Malawier nach Südafrika.

Betrachtet man diese Entwicklung der Wanderarbeit im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Malawi, insbesondere der Expansion der Tabak- und Zuckerproduktion auf Großplantagen, so zeigt sich, daß die Regierung die Wanderarbeit entsprechend den Anforderungen des Aufbaus einer eigenen kapitalistischen Produktionsbasis in der Landwirtschaft steuerte. In den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit, solange die kapitalistische Landwirtschaft im wesentlichen auf die kolonialen Teeplantagen beschränkt blieb (bis 1972 war Tee Malawis größter Devisenbringer), war es für die Regierung ‘profitabler’, Arbeitskräfte nach Südafrika zu schicken, denn sie konnten auf diese Weise unmittelbar (ohne Investitionen in Produktionsmittel, Erschließung neuer Ländereien und ohne Infrastrukturausbau) Devisen bringen.

Tabelle 12
Erlöse aus dem Export von landwirtschaftlichen Produkten und Überweisungen der Wanderarbeiter, 1975, in Mio. Kwacha

Wanderarbeit 32,1
Tabak 26,8
Zucker 23,2
Tee 21,7

Quelle: Malawi Statistical Yearbook 1980

Bis 1975 bezog Malawi durch die Wanderarbeiter mehr Devisen als durch den Verkauf des auf den Plantagen produzierten Tabaks oder Tees.
Als die Regierung in den siebziger Jahren die Expansion des Plantagenanbaus von Tabak (im Eigentum der neu entstehenden malawischen Agrarbourgeoisie) und Zucker (im Eigentum von Lonrho mit malawischen Beteiligungen) forcierte (die Anbaufläche von Tabak auf Plantagen hat sich zwischen 1969 und 1979 von 6 900 ha auf 32 700 ha fast verfünffacht, die für Zucker von 2 246 ha auf 13 850 versechsfacht), wuchs die Nachfrage nach Arbeitskräften in Malawi selbst sprunghaft. In dem Maße, in dem die Plantagenwirtschaft von Tabak und Zucker an Bedeutung zunahm und sich als eigenständiger Wirtschaftszweig etablierte, war es aus der Sicht der Regierung und vor allem derer, denen die Plantagen gehörten, ökonomisch sinnvoller, den Strom von Wanderarbeitern nach Südafrika zu drosseln, um ihre Arbeitskraft im eigenen Lande profitabel anzuwenden. (Der Strom der Wanderarbeiter wurde im übrigen in Wirklichkeit nur umgelenkt, denn auch die Arbeiter auf den neuen Plantagen waren Wanderarbeiter, die oft über mehrere hundert Kilometer von ihrer Heimat entfernt auf den Plantagen lebten.) Das Flugzeugunglück 1974 war daein geeigneter Anlaß, die Wanderarbeit nach dem Süden drastisch zu reduzieren. Das Verbot der organisierten Wanderarbeit130 zwischen 1974 und 1977 schuf in Malawi die nötige Reservearmee von Arbeitern, um die Löhne auf einem extrem niedrigen Niveau zu halten: in den 10 Jahren von 1969 bis 1979 erhöhte sich der Tageslohn für Landarbeiter nur von 0,23 auf 0,25 Kwacha (= ca. DM 0,60); der Reallohn sank um jährlich 6%131.

Die südafrikanischen Minengesellschaften begannen zur gleichen Zeit, rationellere Abbaumethoden anzuwenden und mehr Afrikaner aus Südafrika selbst zu beschäftigen; sie konnten deshalb den gestoppten Strom von Wanderarbeitern aus Malawi ohne Probleme kompensieren. Doch die Initiative zur radikalen Umkehr in der Wanderarbeiterpolitik ging hier — anders als beispielsweise beider Reduzierung mosambikanischer Wanderarbeiter nach Südafrika — eindeutig von Malawi aus; dies reflektiert die Interessen der sich ökonomisch etablierenden malawischen Agrarbourgeoisie.

Dr. Bandas Politik des ‘Dialogs’

Die von Dr. Banda verstärkte Kooperation mit Südafrika fand ihre afrikapolitische Entsprechung in seinem Konzept des ‘Dialogs mit Südafrika’ als Alternative zur Anti- Apartheidpolitik der OAU, die eine Isolierung Südafrikas durch Boykottmaßnahmen forderte. Zwar verurteilt auch Banda verbal das Apartheidregime, doch er behauptete gleichzeitig, nur durch Dialog und Kontakt könne in Südafrika langfristig etwas verändert werden. »Wenn wir jemals das Problem von Schwarz und Weiß in diesem Teil Afrikas lösen wollen … dann müssen wir miteinander reden.«132

Die Politik des Dialogs mit Südafrika fußt auf zwei Prämissen: Erstens sei Südafrika, seinerzeit noch im Bündnis mit Portugiesisch-Mosambik und Rhodesien, ökonomisch und militärisch so stark, daß gewaltsamer Widerstand nicht nur nicht zum Erfolg führe, sondern eine für die Nachbarländerverhängnisvolle Reaktion der Weißen provozieren würde. Zweitens hätten die Weißen in Südafrika, Rhodesien und Mosambik durchaus friedliche Absichten. Die Konsequenz dieser Einschätzung ist eine Überschätzung der ‘Reform’ansätze in Pretoria, wie sie zum Ausdruck kommt, wenn Banda konstatiert, »daß sich die Dinge in Südafrika in sehr, sehr großem Maße geändert« hätten133.

Aus diesem Zusammenhang erklärt sich auch, daß sich Malawi in Bezug auf die Befreiungsbewegungen im Südlichen Afrika auf die Seite Südafrikas geschlagen hat, aus Angst, in die Auseinandersetzungen gezogen zu werden. In derzeit des Befreiungskampfes der FRELIMO gegen die portugiesische Kolonialherrschaft unterhielt Malawi gute Beziehungen zu Portugal, nicht zuletzt, um sich dessen Unterstützung für die geplante Eisenbahnlinie nach Nacala zu sichern. Malawis geographisch exponierte Lage und die Unmöglichkeit, die Grenzen effektiv zu bewachen, zwangen es zwar zu einem taktischen ‘mo- dus vivendi’ mit der FRELIMO, nicht zuletzt, um ein Bündnis zwischen FRELIMO und malawischen Oppositionsgruppen zu verhindern, das Banda hätte gefährlich werden können. Doch politisch kooperierte Malawi mit Portugal gegen die FRELIMO. Als diese 1975 die Macht in Mosambik übernahm, akzeptierte Malawi als Abschiedsgeschenk der abziehenden portugiesischen Kolonialverwaltung zwei Militärboote, die im Antiguerillakampf auf dem Malawi-See im Einsatz waren.

Ganz ähnlich verhielt sich Malawi gegenüber dem Befreiungskampf in Zimbabwe. Während Banda gute Wirtschaftsbeziehungen zum weißen Siedlerregime pflegte und sein »erklärtes Vertrauen in die ‘liberal gesonnenen’ Europäer in Rhodesien«134 betonte, empfahl er den Schwarzen in Rhodesien, der Gewalt abzuschwören, innerhalb der Verfassung zu arbeiten und geduldig zu sein. Jugendliche, die aus Rhodesien nach Malawi geflohen waren und sich im Ausland für den Befreiungskampf ausbilden lassen wollten, wurden von der malawischen Geheimpolizei verhaftet und jahrelang ohne Anklage oder Urteil interniert.

Anders als z.B. Sambia, das seine Unterstützung für den Befreiungskampf in Zimbabwe mit einschneidenden wirtschaftlichen Nachteilen und militärischen Vergeltungsschlägen bezahlen mußte, profitierte Malawi aus seiner offenen Zusammenarbeit mit Portugal, dem rhodesischen Siedlerregime und vor allem Südafrika; es konnte weitgehend ungestört von den Befreiungskriegen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft eben jene wirtschaftliche Entwicklung realisieren, die nicht nur eine kleine herrschende Elite zu Eigentümern ansehnlicher Großplantagen machte, sondern auch noch Einiges für die Masse der Bauern abfallen ließ. Und gerade in letzterem Aspekt liegt eine wesentliche Ursache dafür, daß Präsident Banda auf die Loyalität der Mehrheit der Malawier bauen konnte.
Südafrika hat, neben den ökonomischen Vorteilen der guten Wirtschaftsbeziehungen mit Malawi, die schon wegen der Kleinheit Malawis notwendigerweise beschränkt bleiben mußten, vor allem politisch von den besonderen Beziehungen zu Malawi profitiert.

Malawi ist gewissermaßen Pretorias Brückenkopf in Schwarzafrika bei der Schaffung eines enger integrierten (und von Südafrika dominierten) regionalen ökonomischen Systems, mit dem sich Südafrika als der ‘natürliche’ Partner der Länder des Südlichen Afrikas für wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung anbietet135. Malawis Unterstützung wichtiger außenpolitischer Positionen Südafrikas, wie die Auffassung, daß das Vordringen des Kommunismus in Afrika aufzuhalten sei, hilft Pretoria, seine politische Isolation in Afrikas zu verschleiern, auch wenn sich Malawi dabei selbst zunehmend isoliert.

Malawi und die westliche Südafrikapolitik

Seine Sonderrolle im Südlichen Afrika macht Malawi insbesondere für die westlichen Industriestaaten politisch interessant, die aufgrund ihrer intensiven ökonomischen und politischen Beziehungen zu Südafrika Gefahr laufen, ihren möglichen Einfluß auf die Länder Schwarzafrikas zu verlieren. Dies betrifft vor allem Staaten wie die USA, Großbritannien und die Bundesrepublik.

So wird der Bundesrepublik z.B. von Ländern wie Sambia vorgeworfen, daß, was immer sie an Hilfe und Unterstützung den schwarzafrikanischen Ländern gewährt, weitgehend zunichtegemacht wird durch ihre ungebrochene Zusammenarbeit mit Südafrika, durch die das Apartheidregime ökonomisch und politisch am Leben erhalten wird136.
Malawi fungiert in dieser Auseinandersetzung als Vertreter westlicher Südafrikapolitik innerhalb Afrikas. Bandas Politik des ‘Dialogs und Kontakts’ mit Südafrika entspricht ganz der Ideologie des ‘friedlichen Wandels’, wie sie z.B. von der Bundesrepublik vertreten wird137. Für die USA wiederum ist Malawis »strikt antikommunistische Außenpolitik«138 besonders von Interesse, da von Washington die politischen Auseinandersetzungen innerhalb Afrikas in erster Linie in Kategorien des Ost-West-Konflikts gesehen werden.
Nicht zuletzt aufgrund der großen politischen Übereinstimmung zwischen der Bundesrepublik und Malawi in Bezug auf Südafrika ist Malawi ein Schwerpunktland bundesrepublikanischer Entwicklungshilfe im Südlichen Afrika (siehe Tabelle 13).

Abgesehen von Botswana und Lesotho, deren Entwicklungshilfebezüge pro Kopf der Bevölkerung wegen ihrer geringen Einwohnerzahl nur bedingt mit den anderen Ländern des Südlichen Afrika vergleichbar sind, erhält Malawi mit Abstand am meisten Entwicklungshilfe von der Bundesrepublik. Ebensowenig ist es ein Zufall, daß z.B. Angola und Mosambik 16 bzw. 27 mal weniger Hilfe erhalten als Malawi. In gewisser Hinsicht spiegelt sich in den Zahlen der Entwicklungshilfeleistungen die relative politische Übereinstimmung zwischen der Bundesrepublik und dem jeweiligen Land. Dies gilt noch mehr seit der ‘Wende’ in Bonn, zieht man in Betracht, daß beispielsweise Entwicklungshilfegelder für Mosambik lange Zeit auf Eis gelegt wurden.

Tabelle 13
Entwicklungshilfeleistungen der Bundesrepublik an Länder des Südlichen Afrika, 1981

Land Bevölkerung

in Mio.

Entwicklungshilfe

in Mio. DM

Entwicklungshilfe

in DM pro Kopf

Angola 7,1 4,8 0,67
Botswana 0,9 33,9 37,6
Lesotho 1,3 26,7 20,5
Malawi 6,1 67,5 11,0
Mosambik 12,1 5,1 0,4
Swasiland 0,6 5,1 8,5
Tansania 18,5 123,1 6,6
Sambia 5,7 40,6 7,1
Zimbabwe 7,6 48,0 6,3

Quelle: Bevölkerungszahlen aus: Stiftung Wissenschaft und Politik 1983, S. 72 Angaben zur Entwicklungshilfe der Bundesrepublik aus: BMZ 1983, S. 156ff.

Generell entspricht Malawis pro-westliche Orientierung seiner innenpolitischen Zielsetzung einer auf kapitalistischen Produktionsverhältnissen basierenden Entwicklung und der Sicherung von Bandas Herrschaftssystem gegenüber den Oppositionsgruppen. Darüber hinaus ist Malawi ganz explizit darum bemüht, eine Musterschülerrolle gegenüber den Gebernationen und -organisationen zu spielen. So wird immer wieder betont, daß man das »Wohlwollen internationaler Organisationen und Geberländer erhalten will, von denen wir (Malawi, d. Verf.) hinsichtlich finanzieller und technischer Hilfe abhängen« 139.

Malawi ist in hohem Maße von den Ländern abhängig, die ihm Entwicklungshilfe gewähren. 85% des Entwicklungshaushaltes der Regierung werden durch Zuschüsse und Kredite von außen finanziert. Seit der Internationale Währungsfonds (IMF) Malawi einen Bereitschaftskredit über 50 Mio Sonderziehungsrechte für zwei Jahre und die Weltbank, gestützt auf den IWF-Kredit, einen ‚Strukturanpassungskredit’ über US $ 345 Mio gewährten, befindet sich Malawi, wie schon so viel andere Länder, unter der Fuchtel des IMF und seiner strikten Kreditbedingungen, die sich vor allem auf Einsparungen bei den laufenden staatlichen Ausgaben, auf die Erhöhung der Effizienz der staatlichen Verwaltung und halbstaatlicher Unternehmen, auf eine größere Diversifikation der landwirtschaftlichen Exportproduktion und auf eine Abwertung des Kwacha (um 27%) beziehen140.

Doch auch Länder wieTansania stehen unter dem Druck des IMF; sie betreiben dennoch eine grundsätzlich andere Politik im Südlichen Afrika und insbesondere gegen über Südafrika. Auch wenn Malawi sicher nicht mehr allen über die Prioritäten seiner weiteren wirtschaftlichen Entwicklung entscheiden kann, so ist doch seine Außenpolitik eher von den besonderen Interessen Bandas und seines Clans bestimmt als von den Ländern und Organisationen, die Malawi Entwicklungshilfe oder Kredite gewähren, auch wenn es hier, wie oben aufgezeigt, deutliche Interessenüberschneidungen zwischen westlichen Ländern und Malawi gibt.

Malawis Isolierung in Schwarzafrika

Mit seiner südafrikafreundlichen Politik hat sich Malawi von den meisten schwarzafrikanischen Ländern, insbesondere jedoch von seinen unmittelbaren Nachbarn Mosambik, Sambia und Tansania, politisch isoliert. Die Tatsache, daß diese Nachbarländer den nach der Kabinettskrise ins Exil geflohenen Ministern Asyl gewährten und mit der Opposition zu Banda z.T. offen sympathisierten, hat die Beziehungen zusätzlich verschlechtert.

Malawis Beziehungen zur FRELIMO-Regierung in Mosambik ist belastet von Malawis Rolle während des Befreiungskampfes, seiner offenen Zusammenarbeit mit der Kolonialmacht Portugal und der Duldung, wenn nicht Unterstützung, der gegen die Regierung von Maputo operierenden »Nationalen Widerstandsbewegung von Mosambik« (RNM), die neben der Unterstützung aus Südafrika wahrscheinlich auch über Basen in Südmalawi verfügt. Andererseits waren beide Länder gezwungen, auf pragmatischer Ebene eine Verständigungsbasis  zu finden, denn Malawi ist von den Zugängen zum Meer, die durch Mosambik führen, nach wie vor abhängig, während für Mosambik die Gebühren aus der Benutzung seiner Transitwege keine unwesentliche Einkommensquelle darstellen.

Auf der Basis dieser pragmatischen Kooperation gab es 1979 (also noch vor der Aufnahme Malawis in die SADCC) Ansätze zu einer Verstärkung der Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern. Handelsdelegationen wurden ausgetauscht und Delegierte der FRELIMO-Partei nahmen als Gäste am jährlichen Kongreß der Malawi Congress Party in Malawi teil. Die Daily Times, Malawis regierungsoffizielle Zeitung, kommentierte die Kooperation mit Mosambik folgendermaßen: »… die zwei Länder werden das Ziel verwirklichen, zweiseitigen Handel zwischen Entwicklungsländern zu fördern, um das Monopol bestimmter entwickelter Länder zu brechen, die einfach auf Kosten der Dritte-Welt-Länder profitieren wollen und wenig oder gar nichts tun, die ökonomische Struktur letzterer verbessern zu helfen.« 141 Die hier angeschlagenen vorsichtigen antiimperialistischen Töne deuten darauf hin, daß Malawi sich zunehmend bemühte, seine politische Isolation im Südlichen Afrika zu überwinden. Die Verbesserung der Beziehungen zu Mosambik wird nicht zuletzt auch davon abhängen, ob Malawi gewillt ist, den Wirkungsgrad der RNM auf seinem Territorium zu unterbinden.

Malawis Beziehungen zu Sambia waren nie so stark getrübt wie die zu Mosambik oder Tansania . Dies lag nicht nur an dem Stück gemeinsamer Geschichte, die beide Länder zu Zeiten der ‚Zentralafrikanischen Föderation’ im Kampf gegen ihre Unterwerfung unter die Vorherrschaft der rhodesischen Siedler vereinte, und an einer teilweisen Verwandtschaft der Bevölkerung, sondern vor allem daran, daß Sambias starke Abhängigkeit von Südafrika Präsident Kaunda immer wieder zwang, sich mit dem Apartheidregime zu arrangieren und dabei auch gerne auf Malawi als Vermittler zurückzugreifen142. Außerdem war Sambia, vor allem nach der Schließung der Grenze zu Rhodesien nach dessen einseitiger Unabhängigkeitserklärung, auf die durch Malawi führenden Verkehrswege für seine Exporte angewiesen. 1970 nahmen beide Länder formelle diplomatische Beziehungen auf. Obwohl die Beziehungen bisweilen durch Sambias tatsächliche oder vermeintliche Unterstützerrolle für malawische Oppositionsgruppen (Yatuta Chisiza nutzte das Hinterland Sambias, als er den Aufstand in der Mchinji-Gegend organisierte) beeinträchtigt wurden, haben sie sich im Laufe der siebziger Jahre soweit verbessert, daß Kaunda 1979 zu einem offiziellen Staatsbesuch nach Malawi kam, der ganz im Zeichen der Freundschaft zwischen beiden Ländern stand.
Tansania, von Malawis Nachbarn am wenigsten von Südafrika abhängig, war von jeher der konsequenteste Verfechter einer kompromißlosen Politik gegen Kolonialismus und Apartheid. Die FRELIMO und die Befreiungsorganisationen Zimbabwes und Südafrikas erhielten aktive, auch materielle Unterstützung durch Tansania. Es verurteilte deshalb auch am schärfsten Malawis Zusammenarbeit mit Pretoria. Präsident Nyerere gewährte malawischen Oppositionspolitikern wie dem ehemaligen Außenminister Kanyama Chiume nicht nur politisches Asyl, sondern teilte auch weitgehend deren Kritik an Banda.

Für Malawi, das wirtschaftlich wie infrastrukturell nach Süden orientiert war und diese Orientierung weiter ausbaute, bestand zunächst keine Notwendigkeit, seine Beziehungen zu Tansania, wenigstens auf einer pragmatischen Ebene, zu verbessern. Dazu kam, daß Tansania, vor dem Hintergrund der erwähnten generellen politischen Divergenzen mit Malawi, die Seegrenze mit Malawi, die entlang des tansanischen Ufers verläuft, in Frage stellte und einen Anspruch auf einen Teil des Sees bis zur Seemitte geltend machte. Präsident Banda wies diesen Anspruch Tansanias zurück und erklärte, daß »’geographisch, sprachlich und kulturell’ Malawis Grenzen außerhalb der von den Kolonialisten aufgezwungenen Grenzen liegen«, wobei er hinzufügte, daß er damit keinen Anspruch auf Teile von Nachbarländern geltend machen wolle143. Dieser Grenzkonflikt schwelte noch einige Jahre weiter. Anfang der 80er Jahre trafen sich Delegationen aus Tansania und Malawi, um den Grenzverlauf entlang des Songwe-Flusses, im Norden Malawis, zu klären. Seitdem hat keine Seite den Konflikt um die Seegrenze mehr aufgegriffen. Trotzdem blieben die Beziehungen zwischen Malawi und Tansania ungleich frostiger als die zu den anderen beiden Nachbarn.

Malawis Ausbruch aus seiner politischen Isolation und die SADCC

Die Unabhängigkeit Mosambiks 1975 erschwerte zwar zunächst die für Malawi so wichtige Kooperation mit dem Nachbarn im Süden, befreite es jedoch gleichzeitig von der kompromittierenden Zusammenarbeit mit der Kolonialmacht Portugal.
Mit der Entwicklung pragmatischer Beziehungen, die sich zunächst auf die Transportwege, später auf den Ausbau von Handelsbeziehungen bezog, praktizierte Malawi, ohne seine besonderen Beziehungen zu Südafrika aufkündigen zu müssen, nachbarschaftliche Zusammenarbeit mit einem Land, das im schwarzafrikanischen Kontext die politische Gegenposition zu Malawi einnahm. Wenn dies auch zunächst noch nicht viel an Malawis politischer Isolation in Afrika änderte, so bereitete diese praktische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern doch den Weg zu einer weitergehenden Änderung der Rolle Malawis im Südlichen Afrika.

Es sind vor allem zwei Entwicklungen, die mithalfen, Malawi seinen Nachbarn im Südlichen Afrika näher zu bringen und seine politische Isolation zumindest teilweise zu überwinden. Die erste betrifft die Unabhängigkeit Zimbabwes und die Beendigung des Bürgerkriegs. Auch wenn Malawi nicht so direkt wie Sambia oder Mosambik dem Bürgerkrieg ausgesetzt war und auch alles tat, um nicht hineingezogen zu werden, so war es in den letzten Jahren des Krieges doch zunehmend indirekt betroffen, weil seine Transportrouten nach Süden immer wieder unterbrochen und unsicherer wurden 144.

Die Unabhängigkeit Zimbabwes 1980 führte zu einer — wie sich später herausstellen sollte —vorübergehenden Entspannung im Südlichen Afrika, von der auch Malawi profitierte. Es konnte die Exportroute durch Zimbabwe wieder benutzen und den seit der Verhängung von Sanktionen gegen Rhodesien eingeschränkten Handel wieder entfalten. Mit Mugabe kam zwar nicht Bandas Favorit an die Regierung; Zimbabwe entschied sich zudem mit seinem zumindest langfristig sozialistisch orientierten Entwicklungsprogramm für eine von Malawi grundsätzlich verschiedene politische Richtung. Doch schon bald nach der Unabhängigkeit entwickelten sich gute Beziehungen zwischen beiden Ländern. Regierungsdelegationen aus Zimbabwe besuchten Malawi und besichtigten Entwicklungsprojekte, um sich Anregungen für die Lösung der eigenen Probleme zu holen 145.

Wie schon zuvor im Falle Mosambiks befreite auch die Unabhängigkeit Zimbabwes Malawi von der kompromittierenden Zusammenarbeit mit einem weißen Minderheitsregime, die bisher dazu beitrug, Malawi auf dem schwarzen Kontinent ins politische Abseits zu stellen. Mit dem unabhängigen Zimbabwe trat darüber hinaus ein Land auf die politische Bühne des Südlichen Afrika, das wegen der engen Verflechtungen seiner Wirtschaft mit Südafrika146 eine sehr zurückhaltende Politik gegenüber dem Apartheidregime verfolgte. Auch wenn sich diese Haltung durchaus grundsätzlich von der offenen Kollaboration Malawis mit Südafrika unterscheidet, so kam sie doch der Position Malawis insoweit ein Stück näher, als Zimbabwe in Anerkennung der realen wirtschaftlichen und militärischen Machtverhältnisse bestimmte Zugeständnisse an Südafrika machte und diese mit der Notwendigkeit des wirtschaftlichen Aufbaus des eigenen Landes rechtfertigte 147.

Die zweite Entwicklung, die Malawis veränderte Rolle im Südlichen Afrika bestimmte, war die wachsende Aggressivität Südafrikas, von der auch Malawi zunehmend betroffen wurde. Den Verlust seiner einstigen Bündnispartnerin Angola, Mosambik und Rhodesien versuchte  Südafrika seit Ende der 70er Jahre, verstärkt aber seit der Unabhängigkeit Zimbabwes 1980, durch eine zunehmend aggressive Politik gegenüber seinen nunmehr unabhängigen Nachbarn auszugleichen. Davon war nicht nur Angola betroffen, gegen das Südafrika  regelrecht Krieg führte, sondern auch Mosambik und Zimbabwe. Südafrikas Unterstützung der RNM, die durch gezielte Terrorakte gegen die Bevölkerung und Sabotage strategischer Einrichtungen Mosambik zu destabilisieren versucht, griff auch die für Malawi so wichtigen Eisenbahnverbindungen zum Indischen Ozean an. Seit 1979 und verstärkt seit 1980 wurden von der RNM immer wieder Güterzüge, Brücken oder Hafendepots in die Luft gesprengt.

Ende 1982 wurden durch die Zerstörung der Eisenbahnlinie von Beira der Transport von Treibstoff und 40 000 t Kunstdünger, der dringend zu Beginn der Pflanzzeit benötigt wurde, aufgehalten. Malawi war daraufhin gezwungen, diese Güter aus Südafrika zu beziehen — zum Preis 40% höherer Importkosten. Mitte 1983 mußten 70% des Tees und Tabaks in einem riesigen Umweg 3 000 km weit durch Botswana oder Zimbabwe zum südafrikanischen Hafen Durban transportiert werden.

Trotz seiner bedingungslosen Kooperationsbereitschaft mit Südafrika, mit der es sich ja gerade aus den Konflikten im Südlichen Afrika heraushalten wollte, war Malawi damit selbst Opfer der südafrikanischen Destabilisierungspolitik gegenüber seinen Nachbarn und politisch erpreßbar geworden. Bandas Behauptung, die Weißen Südafrikas hätten friedliche Absichten, mit der er seine Politik des ‚Dialogs’ und der Zusammenarbeit rechtfertigte, wurde spätestens in dieser Situation unglaubwürdig. Der sich verschärfende Konflikt zwischen dem inzwischen völlig isolierten Südafrika und den unabhängigen Staaten des Südlichen Afrika sparte Malawi nun nicht länger aus. Ob es ihm gefiel oder nicht, es befand sich mit seinen Nachbarn im selben Boot.

Die Gründung der »Konferenz zur Koordinierung der Entwicklung im Südlichen Afrika« (SADCC) auf Betreiben der Frontstaaten Angola, Botswana, Mosambik, Sambia und Tansania  und ihre formelle Konstituierung unter Einschluß des gerade unabhängig gewordenen Zimbabwe bot Malawi die Gelegenheit, seine Isolation in der Region zu durchbrechen und eine Basis zur Zusammenarbeit mit seinen Nachbarn zu entwickeln.
Die SADCC, zu deren konstituierender Sitzung im April 1980 in Lusaka neben Malawi auch noch Lesotho und Swasiland eingeladen wurden, verfolgt folgende Ziele:

  • »die Verringerung wirtschaftlicher Abhängigkeit, insbesondere, aber nicht ausschließlich, von Südafrika;
  • die Schmiedung von Verbindungsstücken, um eine wirkliche und auf Gleichheit beruhende regionale Integration zu schaffen;
  • die Mobilisierung von Ressourcen, um die Durchführung nationaler, zwischenstaatlicher und regionaler Vorhaben zu fördern;
  • konzertierte Aktion, um internationale Zusammenarbeit im Rahmen der Strategie wirtschaftlicher Befreiung sicherzustellen.« 148

Diese Ziele verfolgt die SADCC mit einem Programm konkreter Einzelprojekte mit dem Schwerpunkt im Bereich des Transport- und Nachrichtenwesens. Im Gegensatz zu früheren regionalen Gemeinschaften in Afrika (z.B. der 1977 zerfallenen Ostafrikanischen Gemeinschaft) verfolgt die SADCC das Prinzip einer möglichst lockeren Organisationsform, ohne größere zentrale Bürokratie und ohne gemeinsame Vermögenswerte. »Symptomatisch hierfür ist die Beibehaltung des Begriffs ‚Conference‘ auch für die inzwischen erfolgte Institutionalisierung der SADCC-Gruppierung.« 149 Von den Mitgliedsländern werden keine Zugeständnisse hinsichtlich einer einheitlichen Wirtschafts- oder Entwicklungspolitik verlangt. Dies ist ganz im Interesse Malawis, das sicher nicht bereit gewesen wäre, solche Zugeständnisse gegenüber Partnern zu machen, die z.T. eine sehr unterschiedliche Entwicklungspolitik verfolgen. Das pragmatische Vorgehen der SADCC entspricht dem der Kooperationsansätze zwischen Malawi und Mosambik.

Auch die Konzentration auf den Bereich des Transportwesens und die von der Gruppierung gesetzte Priorität beim Ausbau der Verkehrswege durch Mosambik und der Kapazitätsausweitung der Häfen von Beira und Nacala liegt ganz im Interesse Malawis, da Ineffizienz und Sabotage dieser Infrastrukturen den Außenhandel Malawis in den letzten Jahren ganz erheblich behindert haben.

Die Beteiligung des bisherigen Außenseiters Malawi an der SADCC durch die Frontstaaten ergibt sich zum einen aus der sachlichen Notwendigkeit, es in Verbesserung und Ausbau des regionalen Transportnetzes einzubeziehen, zum anderen aber auch daraus, daß Länder wie Mosambik oder Tansania — bisher die stärksten Kritiker von Präsident Banda — inzwischen wirtschaftlich mit dem Rücken an der Wand stehen und deshalb in keiner guten Position sind, Malawi Lektionen zu erteilen 150.
Das Vorgehen der SADCC ist mit seiner lockeren Organisationsform und seiner pragmatischen Projektorientierung auf eine graduelle Verringerung der wirtschaftlichen Vormachtstellung Südafrikas in der Region gerichtet und ist keine ’Anti-Südafrika-Organisa- tion’, wie die ‚Financial Times’ betont151.

Den SADCC-Partnern geht es nicht um eine Konfrontation mit der Regierung von Südafrika, sondern um die langfristige Schaffung einer infrastrukturellen und wirtschaftlichen Basis, die ihnen erst die notwendige Unabhängigkeit verschafft, um auch politisch wirksamer gegen das Apartheidregime Vorgehen zu können. Diese — gezwungenermaßen vorsichtige — Haltung der SADCC gegenüber Südafrika erlaubt Malawi, sich daran zu beteiligen, ohne die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Südafrika aufgeben zu müssen. Die SADCC wird somit für Malawi zum zweiten außenpolitischen Standbein, es kann je nach aktueller Situation sich mehr auf das eine oder andere stützen. Als Malawis Finanzminister auf der in Blantyre stattfindenden Arbeitskonferenz der SADCC im November 1981 — in Anwesenheit des südafrikanischen Botschafters (!) — Pretoria vorwarf, »durch Sabotage und bewaffnete Einfälle einen Keil durch Zentralafrika treiben zu wollen, damit seine Nachbarn an Südafrika gekettet bleiben, ihr Wirtschaftswachstum zu untergraben und ihre Solidarität zu zerstören«152, demonstrierte Malawi nicht nur eine neue Version des ‚Dialogs‘ mit Südafrika, sondern auch, daß es seine Mitarbeit in der SADCC als Druckmittel gegenüber Pretoria zu nutzen gedenkt.

Über seine Mitarbeit an der SADCC hinaus hat Malawi in jüngster Zeit weitere Zeichen einer außenpolitischen Umorientierung gesetzt, als es 1981 diplomatische Beziehungen zu Mosambik aufnahm und zusagte, seine Unterstützung bzw. Duldung der mosambikanischen Rebellen von der RNM zu beenden. Als Gegenleistung hat Mosambik seine Unterstützung für LESOMA eingestellt.

Im April 1984 hat die Regierung von Malawi mit Tansania ein Abkommen über den Bau einer Verbindungsstraße zwischen beiden Ländern im Norden Malawis (ca. 50 km lang, zwischen der malawischen Stadt Karonga und der tansanischen Stadt Lubanda) abgeschlossen. Dies ist nicht nur insofern von Bedeutung, als mit diesem Abkommen die seit der Asylgewährung für malawische Oppositionspolitiker und -gruppen durch Tansania abgebrochenen Beziehungen wieder aufgenommen werden, sondern auch deshalb, weil Malawi mit der Straßenverbindung nach Tansania (mit Anschluß an die großen Ost-West-Verbindungen: Straße von Lusaka nach Daressalam und die TaZaRa-Eisenbahnlinie) zum ersten Mal eine Transportroute nach Norden öffnet; seit seiner Unabhängigkeit war es ausschließlich auf den Süden orientiert. Ursache dieser neuen Orientierung ist, daß Malawis Exportrouten nach Süden nach wie vor — selbst noch nach Abschluß des Vertrages von Nkomati zwischen Südafrika und Mosambik — von südafrikagestützten Sabotagekommandos der RNM unsicher gemacht werden. An diesem Beispiel zeigt sich sehr deutlich, wie Südafrikas Destabilisierungspolitik Malawi selbst seinen bisher am wenigsten gelittenen Nachbarn näher bringt.

Inwieweit Malawis Öffnung zu den Nachbarn auf Dauer auch eine Distanzierung gegenüber Südafrika beinhalten wird, wird sowohl von Malawis innenpolitischer Entwicklung als auch von der zukünftigen Strategie Pretorias abhängen.